Der Ring
betrogen. Und Annie …
Ed ließ seine Hände sinken und machte sie krampfhaft auf und zu. „Darum warst du also so scharf darauf, richtig echt zu heiraten.“ Damit sie ein Baby haben konnten.
Er schob sie weg – nicht schroff – und wandte sein Gesicht von ihr ab. Er schaffte es bis zu seinem alten Sessel und ließ sich darin fallen. So hatte er sich nicht mehr gefühlt, seit er als Kind ein sanftes Kätzchen gefunden und die Strolche es bei lebendigem Leibe zerschnitten hatten. Oder vielleicht seit der Zeit, als er voller Angst hatte zusehen müssen, wie seine älteste Schwester von einer Horde vergewaltigt worden war. Er hatte nicht eine Träne mehr geweint, seit er zehn gewesen war.
Nach einiger Zeit kam Annie herüber und setzte sich auf die Armlehne des Sessels. Ihre üppige Hüfte lehnte sich gegen seine Schulter. Ihre rissige, aber sanfte Hand glitt über seine Stirn und fing an, sie zu glätten, wie er es immer so gern hatte. „Armer Eddie, hast dir ein Kind echt gewünscht, was? Vielleicht können wir noch mal darauf sparen. Wenn du mal ein gutes Geschäft machst …“
Er saß und nahm seine Kräfte zusammen. Dann: „Das soll mir eine Lehre sein, Annie. Eine gute Lehre.“
Sie wartete.
„Wenn ich Geld gehabt hätte, dann hätte ich dich schon vor Jahren geheiratet und hier weggebracht. Mit Geld, da braucht sich keiner Sorgen zu machen.“
„Ed!“ sagte Annie aufgeschreckt. Er sprach zu ruhig, zu intensiv.
„Ich schaffe Geld ran, Annie! Auf jede Weise! Versuch mal bloß, ein ehrliches Geschäft zu führen, und was passiert einem dann! Vielleicht ist das doch die Lösung, was Flachkopf macht. Sei hart und nimm dir einen, der schlau ist und für dich denkt. Einen wirklich Schlauen, so wie diesen Scheißkerl Slim. Da kannst dich dumm und dämlich verdienen …“
„Ed! Du sollst nicht so reden. Wenn du dich in solche Sachen reinziehen läßt, wirst du …“
„Ach, nicht echt Slim. Bloß einen, der so schlau ist, verstehst du.“
„… beringt“, beendet sie ihren Satz.
Ja, das war zu bedenken. „Wie Betty Sue“, stimmte er zu. „Manchmal denke ich mir, das ist es wert, Annie.“
„Du hast doch keine Ahnung!“ rief sie. „Betty Sue – mein Gott, haste vielleicht vergessen, wie die war? Ein Zombie, das war sie. Alle ihre Freunde sind Hals über Kopf abgehauen, weil sie gewußt haben, alles, was sie fallen lassen, kriegen sofort die Bullen zu hören. So schnell sie nur quatschen konnte. Sie hat ihre eigene Mutter abholen lassen, und weg war das Familieneinkommen. Selber konnte sie keine einzige Arbeitsstelle halten. Die Lust-A.G. hat sie nicht mal mit der Kneifzange angefaßt. Wenn mal so ein feiner Pinkel, voll wie ‘ne Haubitze, sie so’n bißchen abgrapschen wollte, hat sie gleich nach den Bullen geschrien – konnte ja nicht anders. Weißt du, was du als Beringter wärst? Ein Eunuch, das wärst du! Nein, schlimmer als ein Eunuch. Ein Zombie. So wie sie. Und das erste, was du machen würdest – du würdest mich anzeigen wegen …“
„Nie würde ich …“ Aber er wußte, daß es stimmte. Beringte waren keine Menschen mehr. Ed ballte seine Hände zu felsbrockenähnlichen Fäusten. Er dachte an die vielen Schlägereien, an denen er beteiligt gewesen war; und an alle die cleveren Jungs, die er mal gekannt hatte, und die es geschafft hatten. Und auch clevere Mädchen, obwohl sie nicht so wie Annie gewesen waren. Annie war eine Frau, wogegen die da … Nutten waren. Allerdings, ein paar waren wirklich beringt worden …
„Ich schaffe es“, sagte er. „Ich suche mir einen Schlaufix, der’s schafft und um den Ring rumkommt. Der was auf die Beine stellt, das …“
„Nein, Ed, nein!“ protestierte sie.
„Ja, Annie, ja!“ Ed schob das Kinn vor und wiederholte es.
„Ja, hundertmal ja, tausendmal ja – für uns beide. Dieses verdammte Kaff – das schuldet uns noch was, Annie. Wir stecken schon viel zu lange im Dreck.“
Der Neuberingte starrte seinen Finger an. Er wirkte benommen.
Richter Crater hatte das schon viele Male gesehen. Jeder dachte, ihm könnte das nicht passieren. Aber es konnte passieren, und es passierte, und vielleicht bekam einmal jeder Verbrecher in der Gegend seinen Ring und wurde ein vollkommener Bürger.
Das beringte Mädchen saß immer noch da und weinte. Nun, sie hatte ihren Zweck erfüllt. Sie konnte nach Hause gehen und eine nette Belohnung in Empfang nehmen, obwohl ihr wahrscheinlich nicht gesagt worden war, was das alles bedeutete.
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