Der Ring
geringste unter den beteiligten Faktoren, aber da er den Zwang deutlich macht, sind Sie sich seiner am stärksten bewußt. Ein hochstehender Moralkodex ist ohne erzwingendes Element wertlos; aber der Kodex ist weit wichtiger als die Erinnerung daran.“
Font nickte.
„Ihre Unverschämtheit von vorhin eine geringfügige Sache, daher fiel die Warnung mild aus. Versuchen es noch einmal.“
„Ja, Euer Ehren.“
„Sehen Sie, diesmal hat es keinen Schock gegeben. Und das ist schon alles. Gehorchen Sie in jeder Hinsicht dem Gesetz, verhalten Sie sich ethisch einwandfrei, führen Sie eine höfliche Sprache, dann werden Sie kaum Schwierigkeiten haben. Der Ring wird infolge der gleichen Art körperlicher Reaktion aktiv, die jahrzehntelang dazu benutzt wurde, den Wahrheitsgehalt bestimmter Bekundungen festzustellen: Schwankungen des Blutdrucks, der Muskelspannung oder anderer Nervenfunktionen. Sie könnten ihn einen verkleinerten Lügendetektor nennen. Die Stärke des Schocks, den er an Sie abgibt, steht im direkten Verhältnis zum Abstand zwischen Ihrer angestrebten Handlungsweise und den Geboten idealen Verhaltens. Zuerst werden Sie natürlich leicht einmal eine Warnung auslösen. Alte Verhaltensmuster müssen verändert werden, und das braucht Zeit. Aber in wenigen Tagen formen sich neue, und Sie werden feststellen, daß der Ring Ihnen weniger und weniger in Erinnerung rufen muß. Sie werden in den Status eines Bürgers hineinwachsen. Schätzen Sie sich glücklich, daß Sie als Ring-geeignet eingestuft worden sind – sonst wäre eine Gehirn-Operation oder Verbannung erforderlich gewesen. Wie fühlen Sie sich, Font?“
Der Mann dachte sorgsam nach, bevor er antwortete, und der Richter wußte, was in ihm vorging. Crater hatte vor vielen Jahren den Ring selbst ausprobiert, weil er es sich angelegen sein ließ, keine Strafe – Korrektur: Behandlung – zu verhängen, die er nicht voll begriff. Er hatte sich für einen ehrlichen Mann gehalten, aber der Ring hatte sein Gehirn zum Gefäß eines kreischenden Durcheinanders aus allem gemacht, was er bis dahin gewußt, gedacht und gefühlt hatte. Selbst ein Richter, so hatte er entdeckt, besaß Integrität nur bis zu einem gewissen Grade, nicht aber schon an sich.
Er hatte geflucht, als eine dornige Rosenranke ihm einen Riß quer über den Arm beibrachte, und der Ring hatte ihm einen Schock versetzt. Er hatte unbewußt und automatisch geirrt – ja, es nicht einmal für unrecht gehalten, ebensowenig, wie ein Mann aus Gunnardorf einen Karton Bier aus einem Geschäft stahl und sich nichts dabei dachte. Das Übergewissen hatte ihn darauf aufmerksam gemacht. Es war eine Demutsübung gewesen – und er hatte im Eiltempo gelernt, seine Zunge im Zaum zu halten und war lange nach dieser vorübergehenden Prüfung des Beringtseins ein besserer Mann gewesen.
Der Ring bedeutete eine gute, wenn auch strenge Kontrolle, und er hieß ihn rückhaltlos gut. Der Ring war weit besser als etwa Gefängnis. Weit besser, dachte er, indem er den Gesichtsausdruck des Mannes vor ihm beobachtete. Das Gesetz hatte sich in der Zeit vor dem Ring nur schwerfälliger Mittel bedienen können. Im Falle von Mord, Vergewaltigung oder anderer Kapitalverbrechen hatte ein Richter die Wahl zwischen Hinrichtung und lebenslänglicher Einkerkerung treffen können. Allzu oft ergaben spätere Beweistatsachen, daß der hingerichtete Mann doch unschuldig gewesen war – viel zu spät für jede Wiedergutmachung. Viel zu oft war andererseits ein abartig Veranlagter innerhalb von zehn Jahren wieder freigelassen worden, um noch ein Kind zu vergewaltigen und zu erwürgen – weil vorzeitige Entlassung wegen guter Führung aus dem „Lebenslänglich“ eine Farce gemacht hatte. Der lobenswerte Geist der Vergebung hatte verheerende Folgen, wenn er dem unverbesserlichen Missetäter zugute kam.
Wie konnte ein Richter in jedem Fall völlig gerecht sein, wenn er entweder eine ungerechte Hinrichtung oder die Freilassung eines zwangshaft Gemeingefährlichen riskierte? Der Ring hatte endlich die Lösung gebracht. Eingangs war er eine harte Strafe für den Verbrecher – und doch bei weitem die beste Antwort auf die problematischste Frage in der Geschichte des Strafvollzuges.
Der junge Mann hatte Craters Frage beantwortet, und Crater hatte nicht zugehört. Es war schlecht, seine Gedanken treiben zu lassen, während er einen Prozeß führte. „Sie sind auf dem richtigen Weg, Mister Font“, sagte er und war sicher, daß diese
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