Der Ring des Highlanders: Roman (German Edition)
Ende gefunden. Sie war von einer Eingebung an diesen magischen Ort geführt oder gezogen worden. Wie und warum, war bedeutungslos. Libby wusste nur, dass sie hierher gehörte.
Sie hatte an mystische Kräfte nie viele Gedanken verschwendet – bis vor einer Woche, als sie entdeckt hatte, dass sie diese besondere Kraft in Händen hielt. Sie war eine Chirurgin, die plötzlich ohne Skalpell Menschen heilen konnte.
Libby riss schließlich ihren Blick vom See los und griff nach den Ausdrucken von Robbie MacBains Anzeige. Sie blätterte darin, bis sie die Fotos gefunden hatte. Sie starrte den kleinen Jungen an, der auf einem Pony vor einer Christbaumpflanzung saß, und versuchte, sich darüber klar zu werden, was es war, das sie derart angezogen hatte.
Das Haus seiner Mutter war natürlich verlockend. Die Berge hatten einen eigenen Reiz, gerade durch die Geborgenheit, die sie vermittelten.
Doch war es Robby McBain, der den Ausschlag gegeben hatte. Er hatte etwas fast Überirdisches an sich. Er war ein Kind mit den Augen einer uralten Seele. Er hatte etwas Imponierendes an sich, im Sattel seines Ponys, direkt in die Kamera blickend, mit einem subtilen, ein Geheimnis andeutenden Lächeln um die Lippen. Dazu eine geradezu magische Verheißung, die in seinen jungen, zinngrauen Augen schimmerte.
Libby suchte erneut in den Ausdrucken und fand Robbies letzte E-Mail. »Hinter Pine Creek fahren Sie nach Nordwesten«, hatte er geschrieben, »bis Sie etwa fünf Meilen hinter der Stadt rechter Hand eine große Christbaumpflanzung sehen. Mit dem Schulbus ist die Strecke ganz kurz, deshalb werden Sie nicht lange brauchen, hierher zu finden.«
Libby drehte den Rückspiegel so, dass sie sich darin sehen konnte, strich sich eine lose Strähne aus dem Gesicht und lockerte ihr kurzes, welliges Haar. Sie blinzelte mit ihren großen braunen Augen, als sie ihr Spiegelbild prüfte, und hoffte, ihr Hauch Make-up würde nicht übertrieben wirken. Dann lächelte sie, um sich zu vergewissern, dass nicht ein Stückchen Salatblatt von dem Sandwich, das sie in Bangor gegessen hatte, zwischen ihren Zähnen steckte. Sie wollte präsentabel wirken, wenn sie ihren neuen Hausherrn kennen lernte, damit er nicht merkte, dass er das Haus seiner Mutter an eine verzweifelte Frau mit Geheimnissen im Gepäck vermietet hatte.
Befriedigt, dass sie wie eine normale, vernünftige einunddreißigjährige Schmuckdesignerin aussah, startete Libby den Wagen wieder, ließ einen Laster vorbeibrausen und lenkte den Wagen zurück auf die Straße. Sie fuhr langsam durch das winzige Städtchen Pine Creek, wobei sie interessiert die wenigen Geschäfte und die etwa drei Dutzend Menschen registrierte, die sie sah. Außerdem fiel ihr auf, dass ihr kleiner Wagen zwischen den vielen Lieferwagen und großen Holztransportern fast verschwand. Vor Dolan’s Outfitter Store sah sie nur einen einzigen Personenwagen zwischen staubbedeckten Lastern.
Sie hielt an der Kreuzung in der Ortsmitte an und überlegte, welche Richtung nun die richtige sein mochte. Einen Kompass hatte sie nicht dabei, doch gab es nur drei Möglichkeiten, die aus Pine Creek hinausführten, und Libby wählte die geschotterte, aber sichtlich viel befahrene Straße, die nach Nordosten führen musste, da die Sonne nun links von ihr stand.
Sie fuhr sechs Meilen und konnte noch immer keinen Christbaum sehen. Libby griff nach dem Maine Atlas and Gazetter, den sie sich auf dem Flughafen in Bangor besorgt hatte, doch wurde ihre Aufmerksamkeit jäh wieder auf die Straße gelenkt, als ein weißer Schweif an der Motorhaube ihres Wagens vorüberfegte. Sie bremste scharf und verriss das Steuer nach links, um dem großen Vogel auszuweichen.
Ihr Tempo ließ den Wagen auf den Graben zuschlittern. Libby riss das Steuer nach rechts und geriet wieder ins Schleudern, diesmal auf dem eisigen Schotter, so dass sie schlingernd in die scharfe Kurve geriet, die plötzlich vor ihr auftauchte.
Sie hätte den Wagen wieder in den Griff bekommen, wäre nicht dieser verdammte Vogel wieder an ihrer Windschutzscheibe vorübergefegt. Diesmal wich sie nach rechts aus, nur um über eine gefrorene Pfütze am Straßenrand zu schlittern. Ihr Wagen geriet in den Graben, schoss die Böschung wieder hoch und flog plötzlich durch die Luft.
Libby schirmte ihr Gesicht mit den Armen ab, als sie durch eine Gruppe von Nadelbäumen pflügte. Ihr Schrei verstummte, als das kleine Auto in den gefrorenen Farmteich auf der anderen Seite der Baumgruppe plumpste.
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