Der Ring des Todes - ein Wagner Krimi
bewachsen, das akkurat getrimmt worden war. Trotz der renovierungsbedürftigen Fassade wirkte das Ganze sehr anheimelnd auf Theobald Wagner, der über sein Lenkrad gebeugt alles genau studierte. Das letzte Licht des Tages zauberte einen rötlichen Glanz auf das Grundstück. In Wagners Kopf wirbelten die Gedanken umher.
Hier sollte ein schwer gestörter Mensch leben, der sich für einen Feuergott aus einem verdammten Opernzyklus hielt? Von hier aus sollte dieser gestörte Mann seinen Rachefeldzug gegen die Menschheit geplant haben?
Dies war also der Ort, an dem Albert Müller als Kind aufgewachsen war. Wie traumatisch mochte diese Kindheit in jener bürgerlichen Idylle wohl gewesen sein? Wagner legte sein Kinn auf die Hände am Lenkrad und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
Rosalie und Menzel würden um kurz nach neun auf dem Wanderparkplatz unweit des Hauses sein. Der Tarnung halber wollten sie noch rasch ihre Sportklamotten anziehen.
Plötzlich erschreckte ihn ein schepperndes Geräusch beinahe zu Tode. Jemand hatte an die Beifahrerscheibe des maroden Golfs geklopft. Hauptkommissar Wagner hatte Mühe, seinen Atem zu kontrollieren. Obendrein raste sein Herz wie wild, als er langsam den Kopf hob.
Lieber Gott, lass es nicht Albert Müller sein, dachte er. Als Wagner die freundlichen Gesichtszüge einer älteren Frau am Fenster wahrnahm, löste sich langsam der Knoten in seinem Hals und der Druck auf sein Herz ließ allmählich nach. Die Tatsache, dass sein Hemd klatschnass am Rücken klebte, führte er auf den heißen Tag zurück und auf den Umstand, dass sein betagter Wagen keine Klimaanlage hatte. Basta! Kein Angstschweiß! Das fehlte gerade noch! ‚Du hast keine Angst!‘, gab er innerlich die Richtung vor.
Theobald Wagner lehnte sich über den Beifahrersitz und kurbelte das Fenster herunter.
„Guten Abend, junger Mann. Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Die Frau hatte eine zarte helle Stimme. Sie war in eine geblümte Kittelschürze gehüllt und ließ ihren mit Erde verschmutzten Gartenhandschuh ins Auto hängen, während sie ihren rechten Arm auf das beinahe ganz heruntergekurbelte Fenster legte. „Wenn Sie Albert suchen, sind Sie zu früh dran. Er kommt samstags immer sehr spät nach Hause, der arme Kerl.“
Theobald Wagner räusperte sich. „Äh, ach ja?“ „Ein fleißiger junger Mann. So freundlich und sooo hübsch! Wenn ich nicht so alt wäre…!“ Die Frau lachte kurz auf. Wagners Hirn arbeitete jetzt auf Hochtouren. Informationen aus einer arglosen Person herauszukitzeln, ohne die eigene Identität zu verraten, konnte mitunter recht heikel sein.
In diesem Fall schien es vorläufig recht gut zu laufen. Diese Frau brauchte keine große Ermutigung, um drauflos zu plaudern. Hauptkommissar Wagner setzte ein dümmliches Gesicht auf. „Hier scheinen sich die Nachbarn wenigstens noch gut zu kennen.“
Die Frau mit der Schürze strahlte. „Ja, da haben Sie recht, junger Mann. Bei uns ist die Welt eben noch in Ordnung.“ Wagner nickte zustimmend, und schon plapperte sie weiter.
„Der Albert zum Beispiel,…“ Die Frau zeigte mit ihrem wedelnden Handschuh, der eine nicht unerhebliche Menge Erde auf Wagners Beifahrersitz hinterlassen hatte, auf das Grundstück am Waldrand gegenüber. „… der ist ein wirklich guter Nachbar. Er ist in diesem Haus aufgewachsen, müssen Sie wissen. Hat es nicht immer leicht gehabt, der Junge. Jedenfalls sorgt er sich um seine Mitmenschen. Der gute Albert erledigt zum Beispiel samstags den ganzen Wocheneinkauf für uns. Dafür müssen wir ihm nur unser Auto borgen.“ Sie fasste sich demonstrativ an den leicht gebeugten Rücken und fuhr fort: „Mein Mann und ich können nicht mehr schwer tragen, müssen Sie wissen. Außerdem schneidet der Albert immer unsere Obstbäume und…“ Sie lehnte sich wieder tiefer ins Auto herein. Erneut rieselte Erde in den Wageninnenraum. „ …er arbeitet doch bei diesem Nobel-Laden Westhofen. Er bringt uns manchmal gaaanz exklusive Sachen mit. Ich habe da zum Beispiel ein Halstuch von Dior! Das könnte ich mir nie leisten. Der Albert hat es mir geschenkt. Einfach so. Dafür koche ich ihm Marmelade oder er benutzt unser Auto, wenn er es braucht. Er hat kein eigenes, müssen Sie wissen!“ Wagner versuchte sein Grinsen durch ein verbindliches Lächeln zu tarnen.
‚Mutti, der Drecksack hat nicht mal einen Führerschein… müssen Sie wissen‘, dachte er bitter. „Sind Sie ein Freund von Albert? Er scheint ja nicht viele zu haben!
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