Der Ring von Ikribu
Sie bückte sich über ihre verschnürten Decken und öffnete sie.
»Sonja, du kannst in meinem Zelt schlafen, wenn du möchtest«, bot ihr Olin an.
»Nein, danke.« Sie wusste, dass er damit keine Hintergedanken hegte, und spürte, dass sie gegen ihr eigenes Verlangen anzunehmen ankämpfen musste. »Ich weiß dein Angebot zu würdigen, Olin, aber ich schlafe gern im Freien und bin es gewöhnt.«
»Gut, wie du willst, aber …« Olin blickte zu ihr hinab, und sein Ton änderte sich. »Angenehme Träume, Sonja.«
Er meinte damit – genau das.
»Danke, Olin, dir ebenfalls.«
Schwärze – eine Leere, so eisig und klamm wie das Nichts. Die Dunkelheit hüllte Sonja ein, dass sie greifbar zu sein und an ihren Fingern zu kleben schien wie weicher Teer. Aber die Schwärze, auf der sie stand, obgleich sie sie nicht sehen konnte, fühlte sich sehr wirklich unter ihren Stiefeln an. Das Schwert in ihrer Hand war offenbar imstand, genug davon wegzuschneiden, dass sie sich bewegen konnte, aber zu sehen vermochte sie nichts. Sie schritt vorwärts, und während sie vorsichtig Fuß vor Fuß setzte, perlte juckender Schweiß auf ihrer Haut. Furcht erwuchs in ihr und das Bewusstsein, wie weit sie auch ginge, die Schwärze würde nicht geringer werden und kein Licht je zu ihr dringen.
Ihr Pulsschlag erhöhte sich. Auf unbegreifliche Weise würgte die Schwärze sie. Sie schritt weiter, doch die Finsternis blieb. So drehte sie sich entschlossen um, vergewisserte sich, dass sie festen Boden unter den Sohlen hatte, und ging in die entgegengesetzte Richtung. War sie wirklich entgegengesetzt? Sie vermochte es nicht zu sagen. Die Schwärze war undurchdringlich. Sie konnte ihre eigene Hand nicht sehen, kein Schimmern ihrer Schuppenrüstung, kein Glitzern ihrer glänzenden Klinge. Panik griff nach ihr, und die Schwärze schloss sich noch enger um sie. Das klamme Grauen drückte sie nieder wie eine schwere Last.
Trotzdem schleppte sie sich weiter. Nun spürte sie eine Brise – eine Bewegung der klebrigen Finsternis, die zum heftigen Wind wurde. Sie wurde rückwärts geblasen – und doch verharrten ihre Füße fest auf der Schwärze unter ihr. Und nun überschlug sie sich rückwärts, und die Dunkelheit überschlug sich mit ihr, das wusste sie, obgleich es keine Möglichkeit gab, es zu erkennen, es gab nichts zu sehen, nichts ringsum zu ertasten …
Sie fühlte, wie ihre Stiefel davonwehten, sich auflösten, zu brüchigem Pergament wurden, von ihren Füßen blätterten und in morschen Fetzchen von ihr forttrieben. Genauso löste ihre Rüstung sich auf. Sie rostete, die Schuppen wurden zu welken Blättern, die der Wind mit sich riss, und sie bliebt nackt im eisigen, immer heftiger tobenden Sturm zurück.
Dann war auch ihr Schwert nicht mehr – in einen spröden Zweig verwandelt, der austrocknete und zu Staub wurde. Ihre Faust umklammerte feuchtkalten Teer.
Furcht erfüllte sie – eisig, unendlich. Und es gab nichts als die Schwärze, die grenzenlose Schwärze um sie herum, in ihrem Innern. Sie vermochte sich auch nichts anderes mehr als die Schwärze vorzustellen. Es gab nichts zu sehen, keine Richtung, in die sie sich wenden konnte …
Sie sank in die Knie. Ihr windgepeitschtes Haar flatterte hinter ihr, wurde klebrig, und die Wurzeln rissen aus der Kopfhaut. Sie wollte aufschreien und konnte es nicht. Ihre Zähne und Kiefer waren weich. Ihre Arme und Beine, ihre Brüste schmolzen zu klebrigem Teer. Sie konnte nicht kämpfen, konnte nichts sehen, sich nichts und niemandem stellen. Es gab bloß die Schwärze, die alles weich und zähflüssig machte. Sie spürte, wie ihr Gesicht ebenfalls zu tropfendem Teer wurde. Und nun hatte sie auch keine Stimme mehr, keinen Verstand. Sie trieb dahin und löste sich in dem Wind der Schwärze auf …
»Sonja!«
… floss dahin und konnte nicht …
»Sonja!«
Licht! Der Wind hatte Licht von irgendwoher mitgebracht! Licht strömte auf sie ein, als der Wind erstarb›als …
»Sonja!« Etwas griff nach ihr. Es war warm und fest, kein Teer. Sie zitterte, spürte wie sie bebte, aber sie hatte wieder einen Körper …
Etwas umhüllte sie, und das Licht wurde orange. Mit einemmal spürte sie, dass sie auf etwas Kühlem, Feuchtem lag, und das orange Licht kam von verglühendem Holz im Feuer. Sie lag auf ihren eigenen schweißgetränkten Decken, und sie blickte über Olins Schulter, atmete seinen Geruch ein, der männlich und schweißig war, und er hatte die Arme um sie und schüttelte sie
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