Der Ring von Ikribu
Auge.
Am späten Morgen wechselte die Gegend plötzlich ihr Gesicht. Der weiche Moosboden wurde zum schlammigen Grund des Sumpflandes. Olin drehte sich zu seinen Männern um.
»Bildet von nun an Dreierreihen und haltet größeren Abstand!« befahl er.
Die Armee formierte sich neu und zog in einer langen Schlangenlinie vorbei an Sumpflöchern und Flecken gedrungener Moorpflanzen.
Sie war noch nicht weit gekommen, als ein Mann in den hinteren Reihen vom etwas festeren Boden abkam und in den Sumpf einsank. Sein Pferd wieherte verängstigt. Ein Dutzend Kameraden saß ab und watete in den trügerischen Sumpf, um dem Mann zu helfen. Der Reiter behielt glücklicherweise seinen Kopf und zog sich an einem überhängenden Ast hoch. Sein Pferd aber sank durch sein entsetztes Strampeln schnell und war in wenigen Augenblicken völlig vom Sumpf verschluckt.
Der Mann hing an dem Ast. Ein Freund kletterte den Baum hoch, dabei rutschte er auf dem Moosbewuchs und feuchten Schlingpflanzen aus und wäre fast selbst in den Sumpf gestürzt. Ein anderer versuchte mit dem Dolch Halt für Hände und Füße in den glitschigen Stamm zu schneiden. Ehe er seinen Kameraden jedoch erreichen konnte, versuchte er sich selbst zu retten und schwang verzweifelt die Beine auf den Ast …
Der Ast knickte.
Die Soldaten schrien auf, als ihr Kamerad kopfüber in den Sumpf sank und sein Schrei abgewürgt wurde. Kurz schlug er noch mit den Beinen um sich, dann waren nicht einmal mehr seine Stiefelsohlen zu sehen. Nichts blieb zurück als ein grünlicher Schaum auf der stinkenden Oberfläche.
Danach wurde die Stimmung der Soldaten noch trostloser und verzweifelter.
Olin führte seine Armee mit größter Vorsicht. Oft hielt er an, um erst die Festigkeit des Bodens vor sich zu erproben, und mehrmals befahl er einen Halt, wenn sein Pferd bis zu den Fesseln versank. Dann lenkte er es schnell in eine andere Richtung, und die Männer hinter ihm wichen der gefährlichen Stelle aus.
Überall ringsum erhoben sich dichte Sumpfwälder, übel riechend und voller Geräusche: dem Kreischen von Aasvögeln, dem Platschen von Kröten und Wasserechsen, dem Krachen und Knicken größerer Tiere, die sich einen Weg durch das Dickicht brachen, und vielen anderen, fremdartigen Lauten. Ein paar Mal schrien die Männer auf und behaupteten, sie hätten ein Kräuseln im Sumpf gesehen, das Weiß riesiger Augen, das Blitzen von scharfen Zähnen und ähnlich Erschreckendem.
Eine ewige Dämmernis herrschte hier in diesem Sumpfland, das mit seinem Gestank die Nase quälte. Weitere Männer versanken in heimtückischen Löchern. Bis zum Mittag – Olin und Sonja konnten nur annehmen, dass es Mittag war, denn die Sonne drang nicht durch die Ranken zwischen den Bäumen und das hängende Moos – zählten sie bereits zwölf Tote. Doch nicht alle von ihnen waren im Sumpf versunken, einige waren von giftigen Schlangen und Riesenspinnen und Vielfüßlern gebissen worden.
Aber das waren nicht die einzigen Gefahren. Am frühen Nachmittag erspähte Olin einige massige Dinge, die in einem großen Tümpel trieben. In dem trügerischen Halblicht versuchte er zu erkennen, was sie waren.
»Was meinst du?« fragte er Sonja, als sie näher kamen.
Sie kniff die Augen leicht zusammen, schließlich antwortete sie: »Leichen.«
Es waren die Leichen von Soldaten – Söldnern. Olin starrte auf die ungeheure Menge, als sie vorbeiritten, auf die Hunderte von aufgedunsenen, verstümmelten und verfärbten Toten am Rand des Sumpfsees. An den Rüstungen einiger erkannte er sie als den Trupp, dem er in Suthad nach dem Kampf das Gold hatte auszahlen lassen.
»Ich verstehe nicht«, überlegte er laut. »Warum sind sie hierher geritten? Das ist der reinste Wahnsinn. Was haben sie hier …«
Er unterbrach sich, als Herzog Pelides, nun dicht hinter ihm, sich räusperte. Er blickte Sonja an und las in ihren Augen dieselbe Verwunderung und die gleiche unbeantwortbare Frage, die er sich selbst stellte.
10.
TOD
Weitere Männer starben, weil sie die Festigkeit des Bodens überschätzten, oder weil sie törichterweise abstiegen, um besser voranzukommen, und dabei von Schlangen und Giftspinnen gebissen wurden, aber auch, weil plötzliches Fieber sie erfasste, sie schwindelig machte und zum Tod führte.
Und nun lagen überall im Sumpf verstümmelte, aufgedunsene und verwesende Leichen von Söldnern herum. Waren sie so dumm gewesen, ihren Rückweg durch den Sumpf abkürzen zu wollen? Oder hatte Asroth
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