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Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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mitzureden und mitzuentscheiden. Und ich komme mittlerweile auch einigermaßen zurecht. Probleme hat wirklich nur Charles, davon können Sie sich jederzeit überzeugen. Für die Schule – ich meine: für eine gewöhnliche Schule – ist er nicht geschaffen.«
    Blajenys Stimme war kühl. »Das zu entscheiden, ist nicht meine Sache.«
    »Wozu sonst sind Sie dann gekommen?« Es schien Meg durchaus natürlich, daß man diesen Blajeny nur hergeschickt hatte, damit er ihrem Bruder half.
    Wieder ließ der Lehrmeister das dumpfe Kullern hören, das als Lachen endete. »Aber, meine Lieben, warum sollte es Charles Wallace in der Schule allzu leicht haben?«
    »Er sollte es aber auch nicht allzu schwer haben. Wenn das so weitergeht, gibt es eines Tages noch eine Katastrophe.«
    »Folglich muß er lernen, Größe zu zeigen und sich notfalls zu wehren.«
    Charles Wallace, der eher klein und wehrlos aussah, sagte leise: »Der Lehrmeister hat recht. Es ist nur eine Frage der Anpassung, und niemand kann mir dabei helfen. Wenn ihr mich endlich in Ruhe laßt, statt mir unentwegt goldene Brücken zu bauen, werde ich eines Tages lernen, nicht mehr unangenehm aufzufallen. Ich habe es zum Beispiel längst aufgegeben, in der Schule von Mitochondrien und Farandolae zu sprechen.«
    Der Lehrmeister nickte ernst; das gefiel ihm.
    Charles Wallace wagte sich einen Schritt näher. »Ich bin froh, daß Sie nicht gekommen sind, weil es mir in der Schule so miserabel geht. Aber – Blajeny – wenn nicht deswegen, warum sonst sind Sie da?«
    »Nicht, um euch Hilfe zu gewähren; vielmehr, um sie von euch zu erbitten.«
    »Von uns?« rief Meg.
    Charles Wallace blickte zum Lehrmeister auf. »Ich soll jemandem helfen – in meinem gegenwärtigen Zustand?« gab er zu bedenken. »Ich habe nämlich nicht nur in der Schule Probleme, sondern auch mit meiner … «
    »Ich weiß«, sagte Blajeny. »Ich weiß Bescheid. Das ändert nichts. Du bist berufen; und wie jeder, dem ein Lehrmeister beigegeben wird, wirst du gebraucht. Du verfügst über Gaben, die wir nicht entbehren können.«
    »Aber … «
    »Wir müssen nur herausfinden, was dich krank macht, und dann machen wir dich – nach Möglichkeit – wieder gesund.«
    »Nach Möglichkeit?« rief Meg ängstlich. Die Einschränkung war ihr nicht entgangen.
    Calvin fragte überrascht: »Charles ist krank? Was fehlt ihm? Was hat er?«
    »Schau ihn doch an«, sagte Meg traurig. »Schau, wie blaß er ist. Und er bekommt kaum Luft. Wenn er nur durch den Obstgarten geht, beginnt er schon zu keuchen.« Sie wandte sich an den Lehrmeister. »Ach, bitte, Blajeny, helfen Sie ihm!«
    Blajeny blickte auf sie herab, dunkel, unbewegt. »Mein Kind, ich glaube, es liegt ganz an euch, ihm zu helfen.«
    »An uns?«
    »Ja.«
    »Ich bin zu allem bereit, wenn es Charles nur nützt.«
    Calvin blickte den Lehrmeister fragend an. »Sie sagten … sie sagten: »alle drei«?«
    »Ja, Calvin, auch du gehörst dazu.«
    »Wozu?«
    »Das werdet ihr im Laufe des Unterrichts erfahren.«
    »Wo findet er eigentlich statt?« wollte Calvin wissen.
    »Wo ist denn Ihre Schule?«
    Blajeny sprang leichtfüßig vom Felsen. Trotz seiner Größe und Stärke bewegte er sich so gewandt, schien es Meg, als sei er von einem fremden Planeten mit größerer Schwerkraft gekommen. Er schritt behende über die Wiese, bis er zu der mächtigen Steinplatte kam, von der aus die Kinder oft mit ihren Eltern die Sterne betrachtet hatten. Dort legte er sich auf den Rücken, machte es sich bequem und forderte sie alle auf, sich ebenfalls auszustrecken. Meg lag zwischen ihm und Calvin, so daß sie sowohl vor dem kalten Nachtwind als auch vor dem Cherubim geschützt war, der die Distanz mit einem einzigen Flügelschlag zurückgelegt hatte und es sich jetzt als Gewirr von Federn, Augen und Rauchwölkchen bequem machte; dabei hielt er sich betont diskret in einiger Entfernung von Charles Wallace.
    »Komm nur, Mehrzahldrachen«, sagte Charles Wallace. »Ich habe keine Angst vor dir.«
    Der Cherubim arrangierte seine diversen Flügel. »Proginoskes, wenn ich bitten dürfte.«
    Blajeny blickte zum Himmel und breitete in einer alles umfassenden Geste die Arme aus. Die Wolken hatten sich fast zur Gänze aufgelöst; nur noch letzte, rasch dahinhuschende Fähnchen legten sich vor die Sterne, die in vollem Glanz strahlten – wie immer, wenn das Barometer rapide fiel. Mit der weitausholenden Gebärde wies der Lehrmeister über das ganze Firmament. Dann setzte er sich wieder auf

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