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Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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Halsstarrigkeit bedeutete.
    Proginoskes ließ nicht locker. »Glaubst du, daß er dir auch charakterliche Vorzüge zubilligt?«
    »Nicht unbedingt.«
    »Wäre es dir lieber, wenn er eine bessere Meinung von dir hätte? Möchtest du, daß er die andere, die wirkliche Meg kennenlernt?«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Wie sollte diese andere Meg denn aussehen?«
    Ohne zu zögern, rief sie: »Ich wollte immer schon aufreizend blonde Haare haben!«
    »Das kann nicht dein Ernst sein!«
    »Doch!«
    »Als aufreizende Blondine wärest du nicht mehr du selbst.«
    »Wie schön! – Au, Progo, du tust mir weh!«
    »Jetzt ist nicht die Zeit für dummes Selbstmitleid.«
    »Ein freundlicher Herr Jenkins wäre auch nicht mehr er selbst. Ein freundlicher Herr Jenkins wäre nichts anderes als eine Meg mit blonden Haaren.«
    Proginoskes ließ sie seinen eiskalten Zorn fühlen. »Also gut, dann brechen wir das Experiment eben ab. Die drei kommen ohnedies jeden Augenblick zurück.«
    Der Gedanke versetzte sie in Panik. »Progo, was machst du, wenn ich versage und den Falschen benenne?«
    »Ich werde meine Wahl treffen.«
    »Das ist keine Antwort. Ich will wissen, wofür du dich dann entscheiden wirst.«
    Progos Federn begannen zu zittern, als würde ein kalter Wind sie zausen. »Meg, unsere Zeit wird knapp«, wich er ihrer Frage aus. »Die drei sind gleich wieder hier. Du mußt einen von ihnen benennen.«
    »Gib mir wenigstens einen Hinweis, wie ich herausfinden kann … «
    »Herr Jenkins hatte recht, als er dir sagte, das ist kein Spiel.«
    Sie warf ihm einen bösen Blick zu, und er zwinkerte bedauernd mit mehreren Augen.
    »Progo! Selbst wenn es um Charles Wallace geht, wie soll ich das Unmögliche können? Wie soll ich Herrn Jenkins lieben?«
    Proginoskes gab ihr keine Antwort. Kein Flämmchen züngelte auf, kein Rauchwölkchen kräuselte sich. Er verschwand hinter seinen Flügeln.
    »Progo! Hilf mir! Wie kann ich für Herrn Jenkins Liebe fühlen?«
    Plötzlich starrte er sie aus zahllosen Augen erschrocken an. »Was für ein dummer Gedanke! Liebe ist doch kein Gefühl! Wenn sie das wäre, könnte ich nicht lieben. Ein Cherubim hat keine Gefühle.«
    »Aber … «
    »Dummkopf!« schalt Proginoskes in seinem Eifer. »Liebe ist nicht, was man fühlt, sondern, wie man handelt. Ich existiere; aber meine Existenz ist von Gefühlen aller Art unabhängig, weil sie äußerlich und somit überflüssig sind. Der Schein trügt. Äußerlichkeiten bedeuten mir nichts.«
    »Progo, mir bedeutest du viel.«
    Proginoskes verschwand vorübergehend hinter einer blauen Rauchwolke. »So war das nicht gemeint. Und wenn ich sagte, der Schein trügt, und von Äußerlichkeiten sprach, wollte ich bloß darauf hinweisen, daß sich Cherubim nur für euch Erdenkinder ein Äußeres zulegen, sich materialisieren.«
    »Wenn ihr es nur uns zuliebe tut, warum nehmt ihr dann eine so furchterregende Gestalt an?«
    »Weil nichts Besseres dabei herauskommt, wenn wir uns Fleisch und Blut zulegen. Als du auf die Welt kamst, also dich materialisiert hast, konntest du dir dein Erscheinungsbild ja auch nicht aussuchen, oder doch?«
    »Leider nicht. Denn sonst hätte ich mich ganz anders zusammengewünscht. Als eine Schönheit mit … « Sie unterbrach sich. »Ach, Progo! Jetzt kapiere ich es endlich! Du willst mir sagen, daß du ebensowenig aus eigener Entscheidung einem Rudel ramponierter Drachen gleichst wie ich aus eigener Entscheidung zu meinen öden Haaren und der häßlichen Brille gekommen bin. Du hast dich nicht bloß zum Spaß so kostümiert.«
    Proginoskes verbarg kokett mehrere Augenreihen hinter drei Flügelspitzen. »Ich bin ein Cherubim, und wenn ein Cherubim sich materialisiert, dann mit diesem Ergebnis.«
    Meg betrachtete ihn ernsthaft: Ja, er war schrecklich groß, schrecklich unförmig – und auf seltsame Weise schrecklich schön. »Progo«, sagte sie, »ich kann mich nicht in einen Windhauch oder in eine Feuerzunge verwandeln. Ich bin ein Mensch. Ich kann nicht denken, ohne zu fühlen. Weil du mir etwas bedeutest, muß ich wissen, was du tun wirst, wenn ich die Prüfung nicht bestehe.«
    »Aber warum denn?«
    Sie verscheuchte mit dem Handrücken die letzten Reste der blauen Rauchwolke, die in ihren Augen brannten, und rief zornig: »Weil es mir nicht egal ist, ob du dich hinterher womöglich in einen Wurm verwandelst und zu den Echthroi gehst. Und ich bin ganz sicher, daß auch Charles Wallace nicht zulassen würde, daß du seinetwegen deine Existenz

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