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Der Riss im Raum

Der Riss im Raum

Titel: Der Riss im Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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wäre geschehen, wenn etwa Karl der Große die Schlacht von Roncesvalles verloren hätte? Ein einziges, unbedeutendes Scharmützel … «
    »Dann hätten die Echthroi gesiegt?«
    »Und eure historische Entwicklung wäre noch schlimmer verlaufen.«
    »Herr Jenkins!« rief Meg. »Hören Sie, was mir soeben eingefallen ist:
    *
    »Weil der Hufnagel verlorenging,
    ging der Huf verloren.
    Weil der Huf verlorenging,
    ging das Pferd verloren.
    Weil das Pferd verlorenging,
    ging der Reiter verloren.
    Weil der Reiter verlorenging,
    ging die Meldung verloren.
    Weil die Meldung verlorenging,
    ging die Schlacht verloren.
    Weil die Schlacht verlorenging,
    ging der Krieg verloren.
    Weil der Krieg verlorenging,
    ging das Königreich verloren.
    So scheiterte ein gewaltiges Reich
    an einem einzigen Hufnagel.‹«
    *
    »Wir müssen Charles Wallace retten!« rief da plötzlich Herr Jenkins. »Um jeden Preis! Was wird von uns erwartet, Progo? Was können wir tun?«

Sporos
    E ine plötzliche, überwältigende Fülle von Harmonien brandete an Meg, den Cherubim, Calvin und Herrn Jenkins heran, umgab sie, hüllte sie ein. Erst raubte sie Meg den Atem; aber dann öffnete sie sich dem Gesang der Farae, dieser seltsamen Wesen, die Wurzeln gefaßt und sich vertieft hatten und einander ungeachtet aller Distanzen nie fern oder fremd wurden.
    *
    Wir sind der Gesang des Alls. Wir singen mit den himmlischen Heerscharen. Wir sind die Musik des Kosmos. Der Chor der Farae und der Sterne. Unser Gesang ist der Atem der Schöpfung.
    *
    »Wie könnt ihr mit den Sternen singen?« wollte Calvin wissen.
    Die Frage löste Staunen aus: »Wir singen. Wir singen gemeinsam. Das ist unsere freudvolle Erfüllung. Das ist unser Sein.«
    »Aber woher kennt ihr die Sterne? Hier seid ihr … im Inneren … eingeschlossen … «
    »Wie sollten die Farae die Sterne nicht kennen, wenn sie doch mit ihnen singen?«
    »Ihr könnt die Sterne nicht sehen. Woher wißt ihr, wie sie aussehen?«
    Dieser Frage standen die Farae völlig verständnislos gegenüber. Wenn Meg und Calvin bloß in bildhaften Eindrücken miteinander kythen konnten, waren ihre Möglichkeiten natürlich beschränkt. Farae hatten sich längst über solche engen Grenzen hinausentwickelt.
    »Das muß ich akzeptieren«, räumte Calvin ein. »Ich weiß, daß wir nur in Ansätzen gelernt haben, unsere Begabungen und unser Gehirn zu nützen. Es ist mit Billionen von Zellen ausgestattet, aber wir lassen die meisten verkümmern.«
    Herr Jenkins ergänzte in seinem trockenen, brüchigen Kythen:
    »Heißt es nicht, die Anzahl der Hirnzellen entspräche exakt jener sämtlicher Sterne im All?«
    »Progo«, wandte sich Meg an den Cherubim. »Du hast die Namen aller Sterne auswendig gelernt. Wie viele sind es?«
    »Wie viele? Gütiger Himmel, Erdenkind, ich habe nicht die geringste Ahnung.«
    »Aber du sagtest doch, es sei dein letzter Auftrag gewesen, sämtliche Sternennamen zu lernen.«
    »Das tat ich auch. Ich kenne alle Sterne in allen Galaxien. Und das sind eine ganze Menge.«
    »Wie viele?«
    »Kommt es denn darauf an? Ich kenne ihre Namen, aber ich weiß nicht, wie viele es sind. Nur ihre Namen zählen.«
    Die Farae kamen mit ihrem starken Kythen Proginoskes zur Hilfe. »Und ihr Gesang zählt. Ohne den Gesang der Galaxien wäre uns Farae die Melodie längst entfallen, denn immer weniger Farandolae tiefen sich ein. Die Entnenner sind am Werk.«
    Meg spürte die plötzliche Kälte, spürte, wie sich die eingewurzelten Farae zurückzogen und verblaßten. Die Harmonie wurde von Dissonanzen getrübt, der Rhythmus gestört.
    Vor ihrem inneren Auge entstand ein Bild: Um den Stamm einer Fara tanzten Scharen kleiner Farandolae, immer wilder, immer schneller, bis es Meg zu schwindeln begann.
    »Einer von ihnen ist Sporos«, ließ Proginoskes erkennen.
    »Was machen sie? Warum wird ihr Tanz immer schneller?« Die Farandolae wirbelten mittlerweile so rasend im Kreis, daß sie nur noch als streifiger Schleier zu erkennen waren. Die große Fara, die sie umschwirrten, ließ kraftlos die Fühlerarme hängen.
    »Sie entziehen der Fara die Nahrung.« Aus Proginoskes sprach eisige Kälte. »Das ist übrigens Senex, die Fara, aus der Sporos kam.«
    Der ungeheure Tanz der Farandolae schmerzte in Megs Ohren wie ein Schrei. »Hört auf!« rief sie. »Hört sofort auf!« Dieser Tanz war nicht ausgelassen oder fröhlich, sondern ungehemmt, brutal und bedrohlich.
    Plötzlich wurde das kreischende Taumeln von einer steten, reinen Melodie

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