Der Riss im Raum
übertönt. Sie strömte Ruhe und stolze Kraft aus. Die tanzenden Farandolae lösten ihren Kreis und schwirrten ziellos herum, bis sie, Sporos allen voran, zu einer anderen Fara jagten und nun sie zu umringen begannen.
Senex richtete seine Fühlerarme langsam wieder auf; die Blässe wich allmählich.
»Senex ist stark«, sagte Proginoskes, »und widersteht den Angriffen länger als die anderen Farae. Aber auch Senex ist nicht unbegrenzt belastbar.« Er brach unvermittelt ab. »Spürst du es auch?«
»Was sollte ich spüren?«
»Den Rhythmus des Mitochondrion. Täuscht es mir meine Angst nur vor, oder gibt Yadah tatsächlich auf?«
»Du irrst dich nicht«, antwortete Meg dem Cherubim. Sie verstummten alle vier, fühlten ins Dunkel. Wieder verzögerte sich kaum merkbar der Pulsschlag, kam mühsamer, setzte einmal ganz aus. Dann kräftigte er sich wieder und klang unverändert weiter.
Als bräche in der undurchdringlichen Lichtlosigkeit von Yadah plötzlich eine klaffende Wunde auf, sah Meg für einen kurzen Augenblick Charles Wallace vor sich. Er lag in seinem Zimmer und rang nach Atem. Meg meinte auch, an seinem Bett Dr. Louise erkannt zu haben – aber seltsamerweise hätte sie nicht sagen können, ob es wirklich Dr. Louise Colubra oder nicht vielmehr Louise die Große war.
Gib nicht auf! Atme , Charles! Atme!
Eine Stimme, ruhig, sachlich: »Jetzt können wir es nur noch mit Sauerstoff versuchen.«
Schon war Meg zurückgeworfen nach Yadah und zu Senex, dem elterlichen Fara-Baum von Sporos. Sie versuchte Senex zuzukythen, was sie soeben gesehen hatte, erhielt aber keine Antwort. Mit seiner Verständnislosigkeit übertraf er sogar Herrn Jenkins. Meg wandte sich an Proginoskes. »Weiß Senex überhaupt, daß Charles Wallace existiert?«
»So, wie du weißt, daß es eine Milchstraße gibt.«
»Und weiß er, daß Charles Wallace krank ist?«
»So, wie du weißt, daß die Erde krank ist. Du erkennst es an den Fischen, die tot auf dem Meer treiben; an den Vögeln, die aus den Bäumen fallen; an den Menschen, die in ihren vergifteten Städten ersticken. Du erkennst es an Krieg und Haß und Chaos. Senex weiß, daß sein Mitochondrion krank ist, weil er erkennt, daß die Farandolae sich nicht eintiefen wollen und viele Farae sterben. Hör zu! Kythe!«
Ein Schwärm Farandolae wirbelte um eine Fara. Sie ließ die Fühlerarme hängen und hatte alle Farbe verloren. Der Tanz war ein einziges kreischendes, häßliches, triumphierendes Lachen. Meg spürte den üblen Geruch; sie kannte ihn bereits von ihrer ersten Begegnung mit einem Echthros, im Garten der Zwillinge.
Sie vernahm eine Stimme, die wie eine schlechte Tonbandwiedergabe von Herrn Jenkins klang: »Wer sagt, daß ihr euch eintiefen sollt? Wollt ihr für immer auf eure Bewegungsfreiheit und auf euren Tanz verzichten? Niemand kann euch zwingen. Hört nicht auf die Farae! Hört auf mich!«
Der starke Stamm der umzingelten Fara begann zu welken.
Meg versuchte, sich unter die Tanzenden zu kythen und die rasende Verkettung zu sprengen. »Sporos! Komm heraus! Achte nicht auf diese Einflüsterungen! Ein Lehrmeister hat dich berufen. Du gehörst zu uns. Komm heraus, Sporos! Deine Bestimmung ist, dich einzutiefen!«
Plötzlich fühlte sie sich wie die Läuferin am Ende der Menschenschlange, die Arm in Arm über den Eislaufplatz jagt. Sie wurde so wild herumgewirbelt, daß sie mit voller Wucht in die Begrenzung am Rand der Bahn schlitterte und die Besinnung, nein: das Kythen, verlor.
»Atme, Meg! Atme!« Proginoskes sprach auf sie ein wie Dr. Louise auf Charles Wallace. »Es ist schon wieder gut.«
Sie schwankte, rappelte sich auf, kam mühsam auf die Beine.
Wieder hörte sie das häßliche Gelächter und die Stimme des falschen Herrn Jenkins: »Nur immer weiter! Tötet die Fara!«
Und dann meldete sich der wirkliche Herr Jenkins: »Ich begreife. Ich verstehe.«
Heftig, immer noch ein wenig atemlos, erwiderte Meg: »Aber ich verstehe und begreife nichts!«
»Warum wollte Hitler die Welt beherrschen?« fragte er sie. »Oder Napoleon? Oder Tiberius?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht, warum überhaupt jemand die Welt beherrschen sollte. Das wäre ja schrecklich.«
»Aber du gibst zu, daß sie es versuchten, Margaret?«
»Das schon«, räumte sie ein. »Es gelang ihnen jedoch nicht.«
»Es gelang ihnen immerhin in beträchtlichem Maß, wenn auch stets nur für eine gewisse Zeitspanne, und ihr furchtbares Wirken wird uns lange unvergeßlich bleiben.
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