Der Riss
Großmutter hat versprochen, dass sie um elf im Bett liegen und nicht zu viele Süßigkeiten essen werden.“
Die zweite Hälfte dieses Satzes schien ihn an die offene Tüte mit Candy Corn auf dem Tisch zu erinnern, denn er beugte sich vor und nahm sich eine Handvoll.
„Mom sagt, das soll man nicht essen“, sagte Beth.
„Mom ist noch nicht zu Hause“, antwortete er.
„Das ist aber gefährlich!“, rief Jessica.
„Was?“, fragte ihr Vater. „Candy Corn?“
„Nein. Wenn man sich da draußen auf dem Land aufhält.
Wenn möglicherweise ein Sturm aufkommt und … all so was.“
Beth grinste immer noch. „Du willst nicht, dass ich heute Nacht in Jenks bin, oder?“
Jessica ignorierte die Bemerkung und starrte in ihr Buch, bemüht, nicht an ihrer Lippe zu kauen. Ihre kleine Schwester würde sich direkt in den Weg der Darklinginvasion begeben, aber sie hatte nicht die leiseste Idee, wie sie das verhindern sollte. Beth machte so ein selbstgefälliges Gesicht – diesmal war sie wirklich bereit, alles auszuplaudern, was sie wusste, wenn sich Jessica ihr in den Weg stellen würde.
Und heute durfte sie auf keinen Fall Hausarrest riskieren.
„Komm jetzt, Dad, lass uns fahren“, sagte Beth. „Der Wetterkanal wird auch noch da sein, wenn du zurückkommst. Als ob sich da je was ändern würde.“
„Das Wetter ändert sich ständig, Schlaumeier“, sagte er, griff nach seinen Schlüsseln und stand auf.
Jessica fiel auf, dass sie sich gern in ein Raubtier verwandelt hätte, so wie Rex, um jetzt gleich nach draußen zu schleichen und am Wagen ihres Vaters das Anlasserkabel abzumachen.
Sie wusste aber eigentlich gar nicht, wie Anlasserkabel aussahen, und war sich auch nicht hundertprozentig sicher, ob sie die Motorhaube überhaupt öffnen konnte.
Was könnte sie sonst noch tun? Erklären, dass sich die Nahrungskette umkehren würde? Dass Bixby eine Invasion bevorstand? Sie würden höchstens denken, dass sie Witze machte, oder sie für verrückt erklären.
Sie würde sich um Mitternacht darum kümmern müssen.
Zusätzlich zu all den anderen Sachen würde Jessica heute Nacht auch noch dafür sorgen müssen, dass ihrer kleinen Schwester nichts passierte.
„Bis später, Jess“, höhnte Beth von der Haustür.
Jessica antwortete nicht, und der Knall, mit dem die Haustür zuschlug, hatte etwas Endgültiges. Sie sah auf ihre Uhr, allmählich krampfte sich ihr der Magen zusammen.
Es war erst Viertel vor sechs, und Samhain fing jetzt schon großartig an.
regen
11.21 Uhr nachts
25
„Kannst du ihn noch schmecken?“
„Entspann dich.“ Melissa schüttelte den Kopf. „Er ist in die Division abgebogen.“
Jonathan beschleunigte wieder, sah aber trotzdem noch einmal in den Rückspiegel. Entspannung schien ihm im Moment nicht gerade angesagt. Überall in der Stadt wimmelte es von Bullen, die hinter Halloweenvandalen her waren und sämtlichen Kids Ausgangsverbot erteilen würden, die nach ihrem Rundgang länger aufbleiben wollten. Und natürlich würde das Polizeirevier für sein Leben gern die Diebe finden, die all die Feuerwerkskörper geklaut hatten, bevor das Zeug Verwendung fand.
Der Umstand, dass sich in Jonathans Kofferraum ungefähr die halbe Kollektion aus Krachern, Rauchbomben, Feuerrädern, Wunderkerzen und Raketen aller Art befand, trug keinesfalls zu seiner Entspannung bei.
„Sag mir einfach Bescheid, wenn er wieder unsere Richtung einschlägt.“
„Mach dir wegen der Bullen keine Sorgen. Ich kann die Prolls aus einer Meile Entfernung schmecken.“
Er beugte sich vor, um zum stürmischen Himmel hochzusehen. Ein Blitz beleuchtete die Wolken von innen. „Was glaubst du, was aus dem Regen wird?“
„Unwetter im Allgemeinen und im Besonderen, Jonathan, denken nicht. Ich habe also keine Ahnung.“
Er gab einen kurzen Lacher von sich, ganz sicher war er sich nicht, ob das ein Witz sein sollte. Melissa zählte sonst nicht zu seinen liebsten Reisebegleitern, aber heute war er froh, sie bei sich zu haben. Er war zu nervös, um allein zu fahren, vor allem, da die Polizei hinter dem Inhalt seines Kofferraums herjagte.
„Total aufgeregt wegen heute Nacht?“, fragte sie.
„Nervös.“
Jetzt musste Melissa lachen. „Jonathan, ich weiß, dass du das hier nicht so sehr fürchtest.“
Er seufzte. Es hatte keinen Sinn, einer Gedankenleserin etwas vorzumachen. Die vorherige Nacht war ein einziger langer Flugtraum gewesen, eine aufregende Übung im Geist.
Jonathan zuckte mit den Schultern.
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