Der rollende Galgen
zwar nach vorn, sie trafen jedoch niemanden. Für uns sah es so aus, als hätten sie etwas Unsichtbares getroffen. - Irgendwo waren Kräfte vorhanden, die mich zurückhielten.
Keine Hände, nein, das waren Strömungen, die zäh und träge durch das Unsichtbare flössen.
Ich ging einen kleinen Schritt zurück. Mein Blick fiel dabei in den Nebel, der den Galgen umgab. Er war nicht mehr so stark, ich konnte ihn durchschauen und sah das Bild des New Yorker Straßenverkehrs wie hinter einer Scheibe.
Da stimmte alles. Da fuhren Wagen, blitzten Lichter, da standen auch Fahrzeuge, und die Gesichter der Menschen waren erstaunt, verzerrt, als sie auf den Galgen schauten.
Es gab ihn, es gab uns, es gab die Umgebung, nur gab es keine Erklärung für alles.
»Es hat keinen Sinn«, sagte Suko. »Wir müssen abwarten, ob…«
Aconagua meldete sich nicht zu Wort. Das erledigte Nabila, seine Gefangene. Sie strengte sich an, dennoch hörte sich die Stimme schwach an, weil sie durch einen Strick am Hals behindert wurde.
»Ihr werdet es nicht schaffen können. Ihr schwebt zwischen den Zeiten, versteht ihr das? Hier ist das Jenseits mit dem Diesseits gekoppelt. Die Gesetze der Physik werden manchmal aufgehoben. Ich weiß das. Ihr müßt weg vom Galgen, weg…«
Das wollten wir nicht ohne Nabila. Als ich ihr das sagte, da lachte und weinte sie gleichzeitig. »Nein, nehmt auf mich keine Rücksicht. Springt ab, bitte. Sofort…«
Ihre Stimme hatte sich drängend angehört. Eine Warnung, die wir verstanden.
Und sie war gerade noch zur rechten Zeit abgegeben worden. Aconagua und seine drei Schergen taten uns nichts. Sie starrten uns nur an, aber der Galgen veränderte seine Richtung.
Er kippte zwar nicht, aber wir spürten, daß etwas nicht stimmte, denn wir gewannen an Höhe. Das war gefährlich.
»Los, Suko!« Ich riß meinen Partner noch mit bis an den Rand. Wir sprangen kurzerhand hinein in den Nebel und hatten das Gefühl wegzufliegen. Ich ärgerte mich darüber, daß ich nicht versucht hatte, mein Kreuz einzusetzen, nun war es zu spät.
Das Gefühl des Fliegens verschwand. Kein Schweben mehr, dafür ein freier Fall.
Bremsen, dann ein schrilles Hupen. Licht explodierte vor unseren Augen. Es waren die Scheinwerfer einiger auf dem Broadway fahrender Wagen. Ich war nicht zwischen die Fahrzeuge gefallen, landete noch auf einer Motorhaube und sah hinter der Scheibe das erschreckte Gesicht des Fahrers. Es sah für mich aus wie gemalt. Der Mann rührte sich nicht. Wahrscheinlich war sein Fuß auf der Bremse festgeschmolzen. Die Beifahrerin neben ihm hatte den Arm erhoben und winkte. Dabei lächelte sie breit, doch bei ihr war es mehr ein Grinsen. Ich grinste und winkte zurück. Dann rollte ich mich von der Haube, die natürlich eine Beule bekommen hatte.
In einer Lücke zwischen zwei parkenden Fahrzeugen fand ich Platz, nicht weit von Suko entfernt.
Auf dem Broadway zwischen Washington Square und Empire State Building lief nichts mehr. Da standen die Fahrzeuge, manche ineinander verkeilt und quer, andere wiederum auf den Gehsteigen, und die Polizei kam auch nicht durch.
Wer den Wagen verlassen hatte, schaute in die Höhe; denn der rollende Galgen schwebte davon.
Es war ein kaum faßbares Bild. Eingehüllt in eine Wolke aus magischem Nebel glitt er dem Nachthimmel entgegen und geriet damit außer unsere Reichweite.
»Sie kommen mit Hubschraubern!« hörte ich Abe Douglas sagen. Er hatte es auch geschafft, ebenso wie Joseph.
Der alte Indianer stand da wie ein Fels in der Brandung. Er hatte seine Finger an den Rand des Topfhuts gelegt und nickte dabei bedächtig. Seine Züge waren zwar starr, sie sprachen trotzdem Bände. Der Galgen war uns entwischt. Wie es so aussah, würden wir ihn auch nie mehr einholen können.
Da die Polizei auf normalem Wege nicht durchkam, setzten sie Hubschrauber ein. Nur konnten die wiederum auf der verstopften Straße nicht landen. Manche von ihnen setzten auf den Dächern der Hochhäuser auf.
Bis die Cops den Weg über die Lifts nach unten gefunden hatten, war alles vorbei. Ich hatte den schwebenden Galgen verfolgt und sah auch, daß er sich auflöste. Hinter der grauen Wand waren seine Konturen nicht mehr zu erkennen.
Mein Blick galt Suko. Der hob die Schultern. »Tut mir leid, John, aber es gab keine…«
Schreie ließen ihn verstummen. Irgendwo vor uns mußte etwas passiert sein. Die Gaffer suchten Lücken und zogen sich zurück. Nach einigen Sekunden liefen sie wieder dorthin, wo etwas
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