Der Rosenmord
wir den ganzen Handel in unseren Händen hätten – vom Rücken des Schafs bis zum Tuch auf der Theke und dem Gewand auf dem Rücken des Kunden.«
»Vorgestellt habe ich es mir schon«, erwiderte sie ohne Umschweife. »Aber es ist eben so, Herr Füller, daß ich nicht die Absicht habe, mich noch einmal zu verheiraten.«
»Ach, das kann sich ändern«, sagte Godfrey selbstsicher und stand auf, um sich zu verabschieden. Die Hand, die sie ihm resigniert reichte, hob er zum Kuß an die Lippen.
»Bei Euch auch?« gab sie mit einem leichten Lächeln zurück.
»Meine Absichten werden sich nicht ändern. Wenn sich aber Eure ändern, dann bin ich bereit.« Damit verließ er sie so munter, wie er gekommen war. Seine Beharrlichkeit und seine Geduld schienen kein Ende zu kennen, obwohl er es sich mit fünfzig kaum erlauben konnte, allzu lange zu warten. Es mochte sein, daß sie sehr bald schon etwas energischer mit Godfrey Füller umgehen mußte. Aber angesichts dieser unerschütterlichen Selbstsicherheit wußte sie nichts weiter als das zu tun, was sie schon die ganze Zeit tat: ihn abweisen und in ihrer Weigerung ebenso beharrlich bleiben wie er in seinen Forderungen. Sie war genau wie er dazu erzogen worden, sorgsam über ihr Geschäft und ihre Arbeiter zu wachen, und sie konnte sich kaum vorstellen, das Färben und Walken einem anderen Handwerker zu überlassen.
Ihre Tante Agatha Coliar, die ein wenig abseits saß und nähte, biß den Faden ab und sagte mit jener süßen, nachsichtigen Stimme, mit der sie manchmal mit ihrer Nichte redete: »Wenn du so höflich zu ihm bist, wirst du ihn nie los.
Das nimmt er als Ermutigung.«
»Er hat das Recht zu sagen, was er denkt«, erwiderte Judith gleichmütig. »Und ich habe keinen Zweifel an meiner Meinung gelassen. Sooft er mich fragt, sooft kann ich nein sagen.«
»O Liebes, das kannst du natürlich. Er ist nicht der richtige Mann für dich. Ebensowenig wie die jungen Burschen, die er erwähnte. Du weißt ja, daß es für eine Frau, die mit dem ersten Mann glücklich war, keinen zweiten geben kann. Da ist es besser, den Rest des Weges allein zu gehen! Auch ich trauere nach all den Jahren noch um meinen Mann. Nach ihm konnte ich keinen anderen mehr ansehen.« Dies hatte sie schon tausendmal seufzend und kopfschüttelnd gesagt und sich eine Träne aus dem Auge gewischt. Aber wenigstens hatte sie das Lagerhaus und das Leinen behalten und ihren Sohn als Verwalter im Geschäft unterbringen können. »Wenn nicht mein Junge gewesen wäre, der damals noch zu klein war, um auf sich selbst achtzugeben, dann hätte ich noch im gleichen Jahr, in dem Will starb, den Schleier genommen. In einem Kloster wird eine Dame nicht von Glücksrittern belästigt. Dort kann man seinen Seelenfrieden finden.« Damit war sie wieder bei ihrem Lieblingsthema angelangt; sie schien mehr zu sich selbst als zu jemand anders zu sprechen.
In ihrer Jugend war sie eine schöne Frau gewesen. Auch jetzt noch hatte sie ein rundes, rosiges und frisches Gesicht, das einen gewissen Kontrast zu ihren wachen, scharfen blauen Augen und ihrem verkniffenen Lächeln bildete. Dieses Lächeln spielte oft um ihre Lippen, die eigentlich entspannt sein sollten, und es schien verschlagene Gedanken zu verraten, die sich hinter ihrem angenehmen Äußeren verbargen. Judith, die sich nicht an ihre Mutter erinnern konnte, fragte sich manchmal, ob die Schwestern sich ähnlich gewesen waren.
Diese beiden, Agatha und ihr Sohn, waren jetzt ihre einzigen Verwandten, die sie ohne Zögern in ihr Haus aufgenommen hatte. Miles hatte sich sehr nützlich gemacht, denn während Edreds langer Krankheit, als Judith an nichts anderes als ihren Mann und das ungeborene Kind denken konnte, hatte er sich als hervorragender Verwalter erwiesen. Als sie dann ins Geschäft zurückkehrte, hatte sie nicht das Herz gehabt, ihn hinauszuweisen und selbst die Führung wieder zu übernehmen.
Allerdings arbeitete sie mit und behielt alles genau im Auge. Er war jetzt der Vorarbeiter der Tuchmacher. Ein so einflußreiches Haus fuhr besser, wenn es nach außen von einem Mann vertreten wurde.
»Aber es sollte nicht sein«, seufzte Agatha, während sie die Näharbeit auf ihrem Schoß zusammenfaltete und eine weitere Träne vergoß. »Ich hatte Pflichten in dieser Welt, und jene Stille und Ruhe blieb mir vorenthalten. Du aber hast kein Kind am Rocksaum hängen, mein armes Mädchen, du hast nichts, was dich an die Welt binden könnte, wenn du dich entscheiden
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