Der Rosenmord
Geschäften nach und ließ sich nicht irre machen. Gewiß war der Bronzeschmied nicht auf einen leichten Gewinn aus. In diesem ganzen Spiel gab es mehr als genug Gier und Gewinnstreben und viel zuwenig Liebe.
Inzwischen war es fast Mittag, die Sonne stand hoch und heiß, es war ein schöner Junitag. St. Winifred mußte sich im Himmel bemüht haben, für die Feier anläßlich ihrer Grablegung das richtige Wetter zu bewirken. Und wie so oft, wenn das Jahr nur zögernd begann, hatte der Sommer den saumseligen Frühling mehr als aufgeholt. Blumen, die schaudernd und widerstrebend innegehalten hatten und nicht blühen wollten, schossen plötzlich in fiebriger Hast auf, und ihre Knospen schienen über Nacht in voller Pracht aus dem Grün zu platzen.
Die Feldfrüchte, anscheinend langsamer und nicht bereit, ein Risiko einzugehen, waren immer noch einen Monat zurück, aber es würde eine gute und schöne Ernte geben, denn die meisten Erbfeinde der Pflanzen waren im April und Mai in der Kälte abgestorben.
Im Torhaus war der Bruder Pförtner in ein ernstes Gespräch mit einem aufgeregten jungen Mann vertieft. Cadfael, dessen größtes Laster die Neugierde war, blieb stehen, zögerte und ging schließlich weiter, als er Miles Coliar erkannte. Der ordentliche, praktische, gutaussehende junge Bursche sah weit weniger ordentlich aus als sonst. Sein Haar war zerzaust und verwirrt, die hellblauen Augen unter ängstlich hochgezogenen Augenbrauen geweitet. Als Miles Cadfaels Schritte hörte, drehte er sich um und erkannte nach einem Augenblick der Verwirrung den Bruder, den er am vergangenen Tag freundschaftlich bei seiner Cousine hatte sitzen sehen. Er wandte sich begierig an Cadfael.
»Bruder, ich kann mich an Euch erinnern – Ihr habt gestern Judith geholfen und getröstet. Habt Ihr sie heute noch nicht gesehen? Hat sie noch nicht mit Euch gesprochen?«
»Nein, das hat sie nicht«, entgegnete Cadfael überrascht.
»Warum denn? Was ist denn nun wieder passiert? Sie ist doch gestern mit Euch heimgegangen. Es gibt doch keinen neuen Anlaß zur Sorge?«
»Nein, nicht daß ich wüßte. Sie ging früh zu Bett, und ich hoffte, sie könne gut schlafen. Aber jetzt … « Er sah sich zerstreut um und fuhr fort: »Man sagte mir daheim, daß sie ins Kloster gehen wollte. Aber …«
»Sie war nicht hier«, warf der Pförtner ein. »Ich habe meinen Posten nicht verlassen, ich hätte sie gesehen, wenn sie durchs Tor gekommen wäre. Ich kenne die Frau, seit sie unserem Haus ihr Geschenk machte. Ich habe sie heute noch nicht gesehen. Miles Coliar hier sagt, sie sei früh aufgebrochen …«
»Sehr früh«, bestätigte Miles aufgeregt. »Noch bevor ich aufwachte.«
»Sie wollte mit irgendeinem Anliegen den Ehrwürdigen Abt aufsuchen«, ergänzte der Pförtner.
»Das hat mir ihr Mädchen erzählt«, fuhr Miles schwitzend fort. »Judith hat es ihr gestern abend gesagt, als das Mädchen ihr beim Zubettgehen aufwartete. Ich erfuhr erst heute morgen davon. Anscheinend war sie aber nicht hier. Sie kam nicht hier an. Aber sie ist auch nicht wieder nach Hause gekommen.
Schon Mittag, und sie ist noch nicht wieder daheim! Ich fürchte, ihr ist etwas zugestoßen.«
6. Kapitel
Zu fünft waren sie an diesem Nachmittag zu einer dringenden Beratung im Sprechzimmer des Abtes versammelt: Abt Radulfus selbst, die Brüder Anselm und Cadfael als Zeugen des Vertrages, der in gewisser Weise das schreckliche Ereignis verursacht hatte, Miles Coliar, unruhig und vor Angst schlotternd, und Hugh Beringar, der in aller Eile von Maesbury herbeigeritten war, um bei seiner Ankunft festzustellen, daß er sich nicht nur mit Elurics Ermordung, sondern noch mit einem zweiten Problem befassen mußte. Er hatte Alan Herbard bereits angewiesen, Männer in die Stadt und die Vorstadt auszuschicken, um nach der vermißten Frau zu suchen. Man würde ihm sofort Bescheid geben, falls sie wieder daheim auftauchte. Immerhin konnte es gute Gründe für ihre Abwesenheit geben; vielleicht war sie unterwegs durch etwas Unvorhergesehenes abgelenkt worden. Doch mit jeder Minute schien dies weniger wahrscheinlich. Unter Tränen hatte Branwen ihre Geschichte erzählt. Judith hatte sich tatsächlich aufgemacht, um die Abtei zu besuchen. Ebenso gewiß war, daß sie nie dort angekommen war.
»Das Mädchen erzählte mir erst heute morgen, was meine Cousine ihr gesagt hatte«, erklärte Miles, während er verzweifelt die Hände rang. »Ich wußte nichts davon, sonst hätte ich sie begleitet.
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