Der Rosenmord
herausgeputzt und überheblich als schönster Hahn im Hühnerhof, nie vermocht hätte. Er hatte Angst, mit seinem allzu kühnen Plan fortzufahren, er konnte aber auch nicht von ihm lassen und wünschte dennoch zugleich verzweifelt, er hätte nie damit begonnen. So war er gefangen wie eine Fliege im Spinnennetz, und jedes Zucken verstrickte ihn tiefer.
»Judith …« Wieder sank er zu ihren Füßen auf die Knie, packte ihre Hände, flehte, schmeichelte. Doch nun war er leidenschaftlich wie ein Kind, er hatte seinen Charme vergessen und war seiner Eitelkeit beraubt. »Judith, helft mir!
Helft mir doch heraus! Wenn es einen Weg gibt, dann helft mir, ihn zu gehen. Wenn man Euch hier entdeckt, dann bin ich ruiniert, entehrt … Aber wenn ich Euch gehen lasse, dann werdet Ihr mich vernichten -«
»Still!« sagte sie müde. »Ich wünsche Euch nichts Böses, ich will keine Rache, ich will nur zu den besten Bedingungen, die es geben kann, von Euch freikommen.«
»Aber wie hilft mir das? Glaubt Ihr, man wird nicht fragen, wenn Ihr plötzlich wiederauftaucht? Selbst wenn Ihr den Mund haltet, was nützt das mir? Die anderen werden keine Ruhe geben, bis Ihr alles erzählt habt, und das ist mein Ende. Oh, wenn ich doch nur wüßte, was ich tun kann!«
»Es würde mir ebensogut passen wie Euch«, erklärte Judith, »wenn wir diesen Skandal einfach vergessen könnten. Aber es braucht tatsächlich ein Wunder, um die letzten beiden Tage zu erklären. Und wenn eben möglich, muß ich mich selbst schützen. Ihr müßt schon auf Euch selbst achtgeben, aber wenn möglich, sollt Ihr meinetwegen ungeschoren davonkommen. Was ist?«
Er war aufgefahren, hielt erschrocken inne und lauschte angestrengt. »Da ist jemand«, flüsterte er. »Schon wieder – hört Ihr es nicht? Jemand spioniert draußen herum … hört nur.«
Sie verstummte, aber sie war nicht überzeugt. Er war inzwischen so überspannt und verschreckt, daß er seine Feinde selbst erfand. Sie lauschte eine Weile, aber sie hörte nichts.
Sogar das leise Seufzen der Brise, die durch die Ritzen in der Luke geweht hatte, war verstummt.
»Da ist niemand. Ihr habt es Euch eingebildet!« Sie faßte plötzlich seine Hände und zeigte deutlich, daß nun sie die Stärkere war, nachdem sie bisher seine Berührungen nur hingenommen hatte. »Hört zu! Vielleicht gibt es einen Weg! Als Schwester Magdalena mich besuchte, bot sie mir Godric’s Ford als Rückzugsmöglichkeit an, falls ich einmal eine Zuflucht und eine Pause zum Atemholen brauchte. Weiß Gott, ich brauchte beides schon vorher, und jetzt erst recht. Wenn Ihr mich insgeheim bei Nacht dorthin bringt, dann kann ich später zurückkehren und sagen, ich sei dort gewesen und hätte nichts von der Aufregung und der Suche nach mir gehört, was hoffentlich sogar wahr sein wird. Ich werde behaupten, ich wollte eine Weile aus meinem Leben entfliehen, um neuen Mut zu fassen und mit neuer Kraft zurückkehren zu können. Und ich hoffe bei Gott, daß auch dies wahr sein wird. Ich werde Euch nicht verraten, ich werde nicht verraten, was Ihr mir angetan habt.«
Er starrte sie großzügig an, wollte noch nicht ganz hoffen, konnte aber dem Ausweg, der ihm aufgezeigt worden war, auch nicht widerstehen. »Man wird Euch hart zusetzen und fragen, warum Ihr kein Wort gesagt habt, warum Ihr einfach fortgegangen seid und Eure Nächsten voller Angst zurückgelassen habt. Und das Boot – man wird von dem Boot erfahren, man wird wissen wollen – «
»Wenn man fragt«, erwiderte sie energisch, »dann werde ich antworten oder mich weigern, eine Antwort zu geben. Auch wenn Ihr Euch Sorgen macht, Ihr müßt jetzt alles mir überlassen, ich biete Euch einen Ausweg an. Nehmt ihn oder nehmt ihn nicht.«
Mit jedem Wort wurde seine Hoffnung stärker. »Mein Vater ist heute wieder zu seinen Herden gegangen, er wird mindestens zwei Tage bei seinen Schäfern bleiben.
In den Ställen steht noch ein gutes Pferd, das kräftig genug ist, um uns beide zu tragen, wenn Ihr im Damensitz mit mir reiten wollt. Ich könnte das Tier aus der Stadt bringen, bevor das Tor geschlossen wird. Besser, wir reiten nicht zusammen durch die Stadt, sondern nehmen einen anderen Weg. Ein Stück stromab gibt es eine Furt, durch die wir auf die andere Seite kommen und nach Süden reiten können, bis wir die Straße nach Beistan erreichen. In der Dämmerung – wenn wir morgen in der Dämmerung aufbrechen … oh Judith, wie könnt Ihr mir vergeben, nachdem ich Euch solches Unrecht
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