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Der Rosenmord

Der Rosenmord

Titel: Der Rosenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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über die Planken der Wand.
    Er selbst rutschte hilflos auf den Boden. Der Sturz war nicht tief und nicht einmal sehr geräuschvoll, aber laut genug, um mitten in der Nacht bis zur Walkmühle gehört zu werden.
    Er kam rasch wieder auf die Beine und lehnte sich einen Augenblick an die Wand, um Atem zu schöpfen und abzuwarten, bis seine vom Schreck zittrigen Beine sich beruhigt hatten. Dann hörte er, wie der Wachhund anschlug.
    Seine erste Eingebung war es, bergauf zu den Häusern an der Hauptstraße zu rennen, und er schlug tatsächlich diese Richtung ein, nur um einen Augenblick später entsetzt festzustellen, daß der Hund viel schneller war als er und ihn einholen würde, bevor er diesen Schutz erreichte. Der Fluß war näher. Es war besser, zum Fluß zu laufen und zum lichten Wald am Ende der Gaye hinüberzuschwimmen. Im Wasser käme er schneller voran als der Hund, und der Wächter würde den Hund wohl nicht ins Wasser lassen.
    Er machte kehrt, rannte in großen Hasensprüngen bergab über das unebene Gelände und näherte sich in vollem Lauf dem Flußufer. Hund und Mann waren hinter ihm her und hetzten eifrig den vermeintlichen Dieb zu einer Stunde, da alle ehrbaren Leute im Bett liegen sollten und nur noch zwielichtige Gestalten unterwegs sein konnten. Leider hatte der Wächter sehr genau gehört, wo Bertred gestürzt war. Er wußte, daß jemand, der gewiß keine guten Absichten gehabt hatte, im Lagerhaus herumgeklettert war. Obwohl er seinen Beinen und Lungen das Äußerste abverlangte, fand Bertred noch die Zeit, sich zu wundern, wie der junge Hynde es geschafft hatte, in der Nacht ein und aus zu gehen, ohne den Hund aufzustören.
    Natürlich – der Wachhund kannte ihn. Der junge Mann war ein Verbündeter, der hierhergehörte, kein Feind und keine Bedrohung.
    Flucht und Verfolgung machten in der Nacht seltsamerweise keinen großen Lärm. Bertred fühlte mehr als daß er sah, wie Hund und Mann sich trafen, um ihn gemeinsam zu verfolgen. Er hörte die Bewegungen und das Schnaufen dichter hinter sich.
    Der Wächter schlug mit einem langen Stecken nach ihm, traf ihn seitlich am Kopf und betäubte ihn beinahe. Bertred stolperte blindlings zum Ufer. Am Wächter war er vorbei, der Mann fiel zurück; nur der Hund, der ihm dicht auf den Fersen war, machte ihm noch angst. Und diese Angst gab ihm die Kraft für den letzten großen Sprung, der ihn von der Uferwiese ins Wasser bringen sollte.
    Das Ufer war höher, der Wasserstand niedriger, als er geglaubt hatte. Einige Felsen lagen frei. Statt über sie hinweg ins tiefe Wasser zu springen, stürzte er krachend zwischen die kantigen Steine, und sein ausgestreckter Arm klatschte hilflos ins flache Wasser. Sein Kopf, der bereits vom Schlag des Wächters klingelte, schlug hart gegen eine Steinkante. Er blieb betäubt liegen, halb verborgen unter der überhängenden Böschung, und begann in der Dunkelheit zu versinken. Der Wachhund, der das Wasser nicht liebte, tappte unruhig am Ufer hin und her, ging aber nicht weiter.
    Der Wächter hörte das Platschen, sah sogar ein kurzes Zittern in der sonst glatten Oberfläche des Flusses und blieb ein Stück vor dem Ufer stehen, um den Hund zurückzurufen. Der vermeintliche Dieb mußte inzwischen schon halb über den Fluß sein und würde ihm keine Sorgen mehr bereiten. Er war ziemlich sicher, daß es dem Burschen nicht gelungen war, irgendwo einzudringen, denn sonst hätte der Hund schon früher angeschlagen. Zur Sicherheit ging er trotzdem ins Lagerhaus und um die Färbeschuppen. Der gelöste Balken hing, eingereiht in die Planken des Schuppens senkrecht unter der Luke. Dem Wächter fiel daran nichts Besonderes auf. Am Morgen wollte er sich noch einmal gründlich umsehen, aber anscheinend war nichts passiert. Er ging zufrieden zu seiner Hütte zurück, der Hund tappte hinter ihm her.
    Vivian stand stocksteif und lauschte, bis das Hundegebell leiser wurde und schließlich verstummte. Mit einem Ruck löste er sich aus seiner Starre.
    »Da hat jemand herumgeschnüffelt! Jemand hat Verdacht geschöpft – oder weiß es schon!« Er wischte sich mit schmutziger Hand den Schweiß aus der Stirn und vergrößerte die Schmierstreifen, die schon dort waren. »Mein Gott, was soll ich nur tun? Ich kann Euch nicht freigeben, und ich kann Euch
      keinen Tag länger hierbehalten. Wenn jemand mißtrauisch wird
    …«
    Judith beobachtete ihn schweigend. Gegen ihren Willen rührte sie der schmutzige und enttäuschte Junge an, wie er es,

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