Der rostende Ruhm
so gehässige Artikel schreibt. Nett, freundlich und jung – aber im Kopf ein Gehirn, mit Gift gefüllt.
Zwanzig Minuten später leuchtete am Sprechapparat der Sekretärin ein Lämpchen auf. »Kommen Sie!« sagte sie steif. »Der Herr Professor will Sie sehen …« Sie sagte nicht wie sonst: »Der Herr Professor läßt bitten!« – Solch ein Weibstück bittet man nicht, dachte sie.
Sie stieß die Tür zum Nebenraum auf und schloß sie schnell wieder, als Gabriele Orth in das Chefzimmer getreten war.
Professor Bergh stand am Fenster, schlank, mit dem Glanz der durch die Gardine flimmernden Sonne auf seinen weißen Schläfen, die Hände in den Taschen seines weißen Mantels. Einen Moment zog er die Augenbrauen hoch, als er Gabriele Orth eintreten sah, dann verschloß sein Gesicht sich wieder und wurde unpersönlich.
»Fräulein Orth, nehme ich an?« sagte er. »Es freut mich, meine Kritikerin zu sehen. Allerdings hatte ich erwartet …«
»Eine Frau mit dicker Brille und einer Warze auf der Nase. Typ Blaustrumpf mit verdrängten Komplexen.«
»So ungefähr.« Bergh lächelte leicht. »Wie ich Sie jetzt sehe, glaube ich, daß ich Ihrem Artikel mehr Bedeutung beigemessen habe, als er es vielleicht verdient.« Gabriele Orths Kopf zuckte in den Nacken, aber Bergh sprach ungerührt weiter. »Ich rechne Ihnen zugute, daß Sie in einem jugendlichen Schwung gehandelt und über das Ziel hinausgeschossen haben.«
»Sie nehmen mich nicht ernst, Herr Professor?« Gabriele Orth umkrampfte ihre Mappe. Ihr Gesicht war weiß geworden.
»Ihre Jugend …«
»Wie ernst Sie mich zu nehmen haben, wird Ihnen zeigen, wenn ich Ihnen das Material meiner neuen Artikel vorlege! Ich bin über Ihre Auseinandersetzungen mit dem Kuratorium genau orientiert. Baron v. Boltenstern …«
Bergh winkte ab. »Wen interessiert das? Und was wollen Sie erreichen, wenn ich Sie wirklich ernst nehmen soll? Betrachten wir die Angelegenheit als einen Ausrutscher.«
Sie rang nach Luft. Bergh kam auf sie zu und drückte sie an den Schultern auf einen Stuhl. Die Berührung durch seine Hände durchlief sie wie ein glühender Strom. Sie wollte die Hände abschütteln, aber sie hatte nicht die Kraft mehr, ihre Schultern zu bewegen.
»Habe ich Sie beleidigt?« fragte Bergh.
Sie nickte. »Sie haben das Schlimmste getan, was ein Mann tun kann: eine Frau nicht ernst zu nehmen.«
»Ich bitte Sie in aller Form um Verzeihung.« Gabrieles Kopf fuhr hoch. Aber es war kein Spott in Berghs Augen. Es war ehrlich gesagt und gemeint. »Als ich Sie eben hereinkommen sah, dachte ich: Welch ein nettes, junges Mädchen«, fuhr Bergh fort. »Sie wird kaum zwanzig Jahre sein …«
»Danke, Herr Professor.« Gabriele lächelte schwach. »Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt …«
»Nicht möglich! Dann war es wirklich eine Beleidigung. Wie kann man so etwas ungeschehen machen?«
»Überhaupt nicht!« Sie lachte ihn an. Dieses fröhliche Lachen in dem schönen Gesicht empfand Bergh wie die Befreiung von einem Druck, der seit Tagen auf ihm gelastet hatte. Seit dem Weggang Brigitte Teschendorffs hatte er nichts mehr von ihr gehört. Mit Josef Teschendorff hatte er telefoniert und erfahren, daß das Kuratorium am Mittwoch, also heute, noch einmal tagen würde, um zu den Vorschlägen Stellung zu nehmen.
»Sie können mir nur beweisen, daß Sie nicht so sind, wie Sie sprechen«, sagte Gabriele Orth. »Und im übrigen wollten Sie mir Ihre Klinik zeigen.«
»Das hatte ich vor. Aber ich weiß nicht, ob ich es jetzt noch in dem Maße tun werde, wie ich es geplant hatte. Sie sollten einmal sehen, was in einem Krankenhaus geleistet wird. Sie sollten an einer Operation teilnehmen, bei deren Anblick Sie bestimmt ohnmächtig geworden wären …«
»So schnell falle ich nicht um …«
»Sie haben so etwas noch nie gesehen.«
»Ich habe am Bett meiner Mutter gesessen, als sie starb. Krebs, Herr Professor. Ich war bis zum Ende neben ihr – mich erschüttert nichts mehr. ›Bleib bei mir‹, hatte die Sterbende noch gesagt. ›Sie haben mich schon weggeschoben. Ich bin für die da draußen schon tot … Bleib bei mir … Ich sterbe ihnen zu langsam …‹ Werden Sie den Krebs heilen können?« fragte sie. Es war wie ein Aufschrei.
Bergh zuckte zusammen. »Nein …«
»Nicht? Aber Sie haben doch …«
»Ich habe einen Weg aufgezeichnet. Ich habe einen kleinen Zipfel des Geheimnisses der karzinösen Zelle gelüftet. Aber von einer gewonnenen Erkenntnis bis zum Heilungsprozeß ist ein
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