Der rostende Ruhm
konnte, war die Überwachung und Betreuung aller Schwerstkranken mit Kreislaufmitteln und Fürsorge für den Wasser- und Elektrolythaushalt.
Bergh deckte den reaktionslosen Moosbaur wieder zu. Er konnte nichts mehr tun. Er konnte nur abwarten. Die Wirkung der Antibiotika und der Kreislaufmittel mußte beobachtet werden. Versagte der Organismus, hatte die ärztliche Kunst die Grenze des Helfens erreicht.
In der vergangenen Nacht hatte Bergh alle Wege abgetastet, die bei einer Peritonitis offenblieben. Er hatte die gewagtesten Eingriffe studiert. Das Ergebnis war das Drehen in einem Teufelskreis, der Abwarten hieß. Mit dem schnellen Eingriff Czerniks waren die chirurgischen Möglichkeiten erschöpft worden.
Bergh erhob sich von der Bettkante und wusch sich in dem Waschbecken in der Ecke des Zimmers die Hände. Schwester Angela öffnete die verkniffenen Lippen Moosbaurs und schob unter großer Mühe das Fieberthermometer zwischen dessen Zähne in die Mundhöhle.
»Was haben Sie sich eigentlich gedacht, als das – das mit dem Patienten passierte?« fragte Bergh. Schwester Angela schwieg. Sie wußte nicht sofort eine Antwort. Bergh trocknete sich umständlich die Hände ab. »Bitte lügen Sie nicht: Was haben Sie gedacht?«
»Wie konnte dem Chef das bloß passieren – habe ich gedacht«, sagte Schwester Angela leise.
Bergh nickte mehrmals. »Diese Frage wird Ihnen wohl niemand beantworten können. Am allerwenigsten ich.«
»Aber es wird keiner erfahren.«
»Ach!« Bergh ließ das Handtuch fallen. Seine Verblüffung war echt. »Was soll das heißen?«
»Herr Dr. Czernik und alle anderen Herren haben strengste Geheimhaltung beschlossen. Es ist offiziell ein Kollaps gewesen – weiter nichts. Es steht auch so im OP-Bericht.«
»Das ist eine Fälschung!« Bergh sah auf den stummen Moosbaur. Mit dem Fieberthermometer zwischen den verkniffenen Lippen sah er aus, als habe man ihn am Mund aufgespießt.
»Wie kann Dr. Werth das zulassen? Die Krankenblätter sind Dokumente!«
»Es geschah doch zu Ihrer Sicherheit, Herr Professor«, stotterte Schwester Angela verwirrt.
»Es wird geändert! Ich habe die Wahrheit nicht zu verbergen. Die Verfehlung eines Zehntelmillimeters ist menschlich. Ich bin auf meinem Zimmer. Rufen Sie mich sofort an, wenn der Patient irgendeine Reaktion zeigt.«
Das »Ja« von Schwester Angela hörte Bergh schon nicht mehr. Er eilte über den langen Gang seiner Privatstation zu seinem Zimmer. Auf halbem Wege begegnete er Wortischek, den der allgemeine Hausalarm aus seiner Kümmelstunde aufgescheucht hatte. Er rannte mit flatterndem Kittel Professor Bergh entgegen.
»Guten Morgen! Guten Morgen!« rief er schon von weitem. »In der Klinik keine besonderen Vorkommnisse.«
»Das ist schön, Herbert.« Bergh blieb stehen und lächelte schwach. »Aber ich weiß alles …«
»Sie – Sie … Welches Schaf hat denn …«
Bergh würgte es im Hals. Er spürte Erschütterung in sich emporsteigen und wehrte sich vergeblich dagegen. »Aber es hat keinen Zweck mehr, Herbert – du wirst einen neuen Chef bekommen.«
»Dann gehe ich auch! Und zwar mit Ihnen.«
»Das würde ich mir sehr überlegen. Vielleicht gehe ich ans Ende der Welt.«
»Dann machen wir dort einen neuen Anfang, Chef!«
Bergh stutzte. Mensch, Wortischek, dachte er plötzlich. Was der da sagte, war in seiner Einfachheit so wahr. Natürlich war es wieder ein Anfang, es gab so lange Leben, bis das Leben selbst zu Ende war. Immer gab es einen neuen Beginn, denn das Leben ging ja weiter und stand nie still. Man konnte die Zeit nicht anhalten und sich in den Schmollwinkel verkriechen. Nein, das ging nicht.
»Wir sprechen noch darüber, Wortischek«, sagte Bergh.
Dann ging er in sein Zimmer und schloß hinter sich ab.
Gegen elf Uhr vormittags wurde die Klinik von Besuchern überschwemmt.
Bergh sah es von seinem Fenster aus. Auto nach Auto fuhr vor und parkte in dem großen Hof des Krankenhauses. An einigen Wagen klebte ein schmaler Zettel an der Windschutzscheibe.
Presse, entzifferte Bergh.
Presse?
Was wollten die Journalisten hier? Wer hatte sie eingeladen? Es mußte eine Einladung sein, denn die Massierung ihres Besuches kam nicht durch einen Zufall.
Bergh rief über die Haussprechanlage Oberarzt Dr. Werth in dessen Zimmer an.
»Was soll das?« fragte er laut. »Im Haus wimmelt es von Presseleuten! Wer hat sie gerufen?«
»Ich erfahre es auch erst soeben.« Die Stimme Dr. Werths war aufgeregt. »Im großen Aufenthaltsraum ist eine
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