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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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das bestimmt keinen Treffer ausgehalten hätte. Aber seltsamerweise war Klotzsche bisher noch immer verschont geblieben und blieb es, auch diesmal – die Flieger waren wieder in Dresden.
    Am Nachmittag ging ich ins Lazarett. Mir waren schon in Dresden die übervielen Augenbeschädigungen aufgefallen. Hier hatte man eine besondere Augenstation eingerichtet. Ich kam bald heran, der junge Arzt war sehr liebenswürdig, fragte nach meinem Beruf und wurde noch liebenswürdiger und aufmerksamer. Befund: Nach oberflächlicher Untersuchung (und zu mehr fehle es hier an allem) befinde sich die Blutung unter der Bindehaut und sei harmlos; aber ein Riß in der Netzhaut sei doch nicht ausgeschlossen, ich müßte noch einen Facharzt aufsuchen. Wie eilig hätte ich das in normalen Zeiten getan. Jetzt blieb mir nichts anderes übrig, als diese Gefahr zu dem übrigen zu legen. Das Auge hat sich inzwischen fast hergestellt, und nun wird wohl nichts weiter mehr nachkommen. – [...]
    In der Nacht zum Sonnabend hörte ich ununterbrochene Fliegerei. In dieser Nacht kam mir auch der Gedanke: Piskowitz. [...] Wir machten am Vormittag noch unsere Alleinwege. Bei Tisch (Sonnabend mittag also) erfuhren wir dann, am Sonntag werde der Fliegerhorst von allem Zivil geräumt, die Ausgebombten transportiere man in Orte der Umgebung wie Coswig und Meißen. Da glaubten wir, Piskowitz dürfte uns ein tieferes Untertauchen ermöglichen, und trafen also unsere Vorbereitungen zur Abreise. [... ]
    In Klotzsche kamen mir zum erstenmal Gedanken über unsere Verluste. Alle meine Bücher, die Lexika, die eigenen Werke, ein Maschinenexemplar des 1 8ième und des Curriculum. Geschieht ein Unglück in Pirna, dann ist meine gesamte Arbeit seit 1933 vernichtet. – Im Schreibtisch lagen zusammengestellt die Stücke des dritten Bandes gesammelter Aufsätze. Wie soll ich das wieder zusammenfinden? Bei Thamm sind alle meine Sonderdrucke vernichtet...
    Das alles focht mich nicht übermäßig an. Das Curriculum würde ich in knapperer und vielleicht besserer Fassung aus dem Kopf wiederherstellen. (Bei der Buck hat mir einmal ein Satz imponiert: »Darauf zerriß sie alle Modellzeichnungen, um nun frei gestalten zu können.«) Nur um die Sammlungen zur LTI wäre es ewig schade.
    Sooft ich an den Schutthaufen Zeughausstraße 1 und 3 dachte und denke, hatte und habe doch auch ich das atavistische Gefühl: Jahwe! Dort hat man in Dresden die Synagoge niedergebrannt.
     
    Köln Der Pfarrer Robert Grosche 1888–1967
    7 Uhr Messe in St. Andreas.
    Gestern stand in der Epistel aus Isaias 58 die merkwürdige Verheißung: Et aedificabuntur in te deserta saeculorum, fundamenta generationis et generationis suscitabis, et vocaberis aedificator sepium. [Und auferbaut werden von dir die Trümmer der Vorzeit: die Fundamente früherer Geschlechter wirst du wieder errichten und Erbauer der Umfriedung wirst du genannt werden.] Darf ich annehmen, diese Verheißung gelte im wörtlichen Sinne auch mir, wenn ich die Fastenzeit dieses Krieges richtig überstehe?
    Nachmittags Predigt im Dom: Jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist der Tag des Heiles. Machen wir uns wirklich, wenn wir diese Worte in der Epistel hören, klar, daß sie ganz ernst gemeint sind, daß jetzt dieser Tag des Heiles da ist, jetzt, da wir hier zusammengedrängt sind in der Schatzkammer des Domes? Daß, wenn diese Worte in besonderem Maße für die Fastenzeit gelten, sie auch und gerade jetzt in dieser Zeit gelten, die den Sinn der Fastenzeit in ganz besonderer Weise erfüllte. Wir haben vielleicht früher, an den Hochfesten des Kirchenjahres, bei Bekenntnisfeiern, Stunden erlebt, von denen wir glaubten, daß es besondere Gnadenstunden gewesen seien. Und es waren Tage der Gnade. Aber ist nicht bei uns vieles doch nur ein Strohfeuer gewesen? Wir sind nach Hause gegangen, ohne andere Menschen geworden zu sein. Und nun ist all die Herrlichkeit in Staub und Asche gesunken. Buchstäblich ist um uns Staub und Asche; und nun heißt es, in Staub und Asche Buße tun. Und da heißt es dann: jetzt ist die Zeit der Gnade. Weil Gottdie Welt um uns abbricht... weil wirklich um uns herum die Gestalt der Welt vergeht... Was in der Fastenzeit gewissermaßen symbolisch vollzogen wird, das vollzieht sich nun in harter und bitterer Wirklichkeit. Aber was bedeutet das? Daß wir frei werden für die himmlischen Dinge. Frei werden für Gott. Das bedeutet nicht Tod, sondern Leben, nicht Armut, sondern Reichtum. Es wird der äußere Mensch auf

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