Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
Der Arzt von gegenüber war, wie wir, in Skianzug und Stiefeln, einige waren barfuß. Nur ein kleiner Teil unseres Viertels schien verschont geblieben zu sein, eine kleine Insel. Um uns herum standalles in lodernden Flammen. Ein heißer Wind trieb auf uns zu. Fassungslos und mit angstverzerrten Gesichtern starrten wir uns an. Niemand sprach ein Wort. Langsam schlurfte einer nach dem anderen wie in Trance in die Häuser zurück. Wir zogen uns nicht aus, legten uns nur aufs Bett.
Dresden Die Komponistin Aleida Montijn *1908
Als am Abend des Faschingsdienstag 1945 Alarm kam, ging ich wie üblich in den Keller unter unserem Haus. Wir waren ungefähr 10–1 2 Menschen dort, ich hatte meinen Klavierstuhl mitgebracht – aber ich kam nicht mehr dazu, mich darauf zu setzen. Alle wurden zu Boden geschleudert von einer Druckwelle. Das ging alles so rasch, daß man fast den Verstand hätte verlieren können. Ich wußte vom ersten Augenblick an, daß es jetzt nur noch um Leben oder Tod ging. Die zwei kleinen Katzen hatte ich unter meinen braunen Wintermantel, rechts und links unterhalb des Schlüsselbeins, geschoben – sie krallten sich fest an dem dicken schwarzen Pullover und rührten sich die ganze Nacht nicht von der Stelle. Wir Menschen versuchten uns gegenseitig Halt zu geben, aber man wurde immer wieder in eine andere Druckrichtung gerollt, bis zur völligen Erschöpfung. Man rief nicht um Hilfe, es gab keine Hilfe in dieser Stadt. Sie klammerten sich an mich, und ich versuchte, ein Vaterunser zu murmeln mit meinen letzten Kräften. Ich war damals alles andere als ein »gläubiger Mensch«, ich wagte es gar nicht, mich auf einen »lieben Gott« zu verlassen, aber ich betete trotzdem – automatisch – um mich von dem grauenhaften Getöse abzulenken. Es klang unaufhörlich, wie wenn riesige Steinbaukästen von einem ungeheuren Sturm zertrümmert würden. Dieser Klang ist mir als das fürchterlichste Erlebnis in Erinnerung geblieben. Dann hört mein Gedächtnis auf, ich war eingeschlafen, mitten in diesem Inferno.
Dresden Der Soldat Rudolf Thomas
Es ist nicht zu beschreiben, das Chaos, was durch den Einschlag der Bomben ausgelöst wurde. Wie durch ein Wunder blieb unser Teil des Kellers verschont. Es wird wohl niemand wissen, wieviel Soldaten dort unter den Trümmern geblieben sind. Nachdem wieder Ruhe eingetreten war, ging es raus. Rundherum ein Flammenmeer. Alles brannte, aus den Häusern kamen Hilfeschreie, aber keiner konnte helfen. Die Verwundeten, die auf der Trage lagen, konnten sich der umherfliegenden Funken nicht erwehren. Wir, die wir laufen konnten, krochen von Trage zu Trage, um die Funken zu löschen.
Dresden Der Jurist Ottmann *1890
1. Angriff bis 23.00 h. Kinder jammerten und weinten, Christa hatte ich im Arm, Margot Marlis [Zusatz der Tochter Marlis 1993: »Es war umgekehrt: ich bei Papi«]. Wohnung durchgepustet und demoliert. Vorhänge heruntergerissen.
Dresden Der Wehrmachtsfunker Franz Leiprecht *1921
Kaum hatten wir den Schutzraum erreicht, da detonieren schon die ersten Bomben. Das war ein Krachen, Donnern und Tosen, schlimmer kann der Weltuntergangnicht sein. Wir Frontsoldaten sind ja viel gewohnt, aber das war die Hölle in Natura. Die Stimmung, die in unserem Keller herrschte, war kaum beschreiben. Die einen beteten, die anderen fluchten. Auch durch dumme Witze läßt sich hier die Angst nicht verbergen. Ich dachte plötzlich an mein Vesper im Brotbeutel. Sofort packte ich es aus und begann zu essen. Von einem guten Appetit war hier keine Rede. Kaum hatte ich das Zeug ausgepackt, da hob eine Luftdruckwelle den Deckel auf dem Luftschacht. Ein Knallen, eine Staubwolke und aus war es mit der Brotzeit. Das Krachen und Donnern wollte kein Ende nehmen.
Der Funkverkehr der Royal Air Force
22.18 Uhr
Der Masterbomber an Plate-rack-Verband: Hallo, Plate-rack-Verband: Versuchen Sie, den roten Schein herauszufinden. Die Bomben fallen jetzt wahllos. Suchen Sie, wenn möglich, den roten Schein heraus, und bombardieren Sie dann nach Plan.
22.19 Uhr
Der Masterbomber an Plate-rack-Verband: Scheinanlagen in einer Entfernung von neunzehn bis vierundzwanzig Kilometern 300 Grad rechtweisend vom Stadtzentrum.
22.20 Uhr
Der Masterbomber an Plate-rack-Verband: Beenden Sie schnell die Bombardierung uund fliegen Sie nach Hause. Beachten Sie nicht die Brandstellen der Scheinanlagen.
22.21 Uhr
Der Masterbomber an Verbindungsflugzeug Eins:
Geben Sie nach Hause durch: »Ziel
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