Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
beten« – seine Stimme war sehr bewegt. Ich hörte plötzlich eine Frau sprechen: »Der liebe Gott kann da auch nicht helfen«, aber ich ließ mich nicht beirren und betete und hoffte. Später sah ich dann, daß sich diese Frau vergeblich bemühte, ihren Mann zu beruhigen – er erlitt einen schweren Herzanfall und nahm weiße, flache Tabletten zu sich. Meine Mutter tröstete meine kleine Schwester: »Es ist alles gut, es passiert schon nichts.« Ich wußte genau, daß es in ihrem Innern ganz anders aussah. Gegenüber saß eine ältere Lehrerin, die sich fortwährend bekreuzigte. Das Licht verlöschte nach einiger Zeit und wir saßen bei trübem Kerzenlicht. Ich konnte nichts denken, ich war erstarrt vor Schreck, aber eine Vorstellung wich während des Angriffs nicht mehr von mir, ich konnte mich nicht mehr von ihr lösen: »Hoffentlich fällt keine Bombe auf unser Haus.« An Verschüttungen und Verletzungen dachte ich nicht. Man hörte nicht die Flugzeuge, die so viel Leid der Menschheit brachten, nur das Zischen und Sausen der Bomben war vernehmbar und der ohrenbetäubende Lärm beim Einschlag. Ich habe mir später oft überlegt, was die Flieger sich dabei denken, wenn sie eine Bombe nach der anderen abwerfen, aber sie können sich ja nichts denken, sonst wären sie ja nicht fähig, einen so grausamen Krieg aus der Luft gegen wehrlose Menschen zu führen, sie müßten sonst Verräter an ihrem eigenen Vaterland werden; so waren sie nur von dem einen Gedanken erfüllt, ihren Feind in der Heimat und an der Front vollkommen zu vernichten. Nach diesen qualvollen 90 Minuten verstummte der Lärm draußen in der Winternacht jäh, aber es sollte noch nicht das Endesein. Zum Schluß des ersten Angriffs hörten wir plötzlich klagende Hilferufe. Jemand öffnete die Haustüre, und bald standen auch schon drei geduckte Gestalten in unserem Keller. Es war meine Freundin mit ihrem kleinen Bruder und ihre Mutter. Bei ihnen war zum Schluß der Keller eingedrückt worden, und nun suchten sie bei uns Schutz. Bald darauf kamen noch zwei vermummte Frauen, die bei uns Schutz und Hilfe suchten. Ihr Keller war eingestürzt und eine Frau aus ihrem Haus in der Treppe eingeklemmt worden. Später verloren wir sie aus den Augen.
Dresden Eva Schließer
Ich hörte zum ersten Mal Bomben pfeifen und krachen, obwohl ich schon in anderen Städten schwere Alarme mitgemacht hatte. Aber da war immer das Geballere der Flak, das alles andere beruhigend übertönte. Wir hörten unbarmherzig Welle auf Welle anfliegen. Der erste Angriff war noch verhältnismäßig kurz, obwohl wir erst spät der Zeitzünder wegen aus dem Keller konnten. Über Neustadt und dem Stadtzentrum leuchtete heller Feuerschein. Auch auf der Schäferstraße sollte es bereits hell brennen. Bei uns waren fast sämtliche Verdunkelungen zerfetzt, das Fensterglas zersprungen, aber mit Onkel Hans’ Hilfe, der auf dem Weg zur Hafenmühle bei uns vorbeikam, war das Wohnzimmer bald instandgesetzt, denn wir hatten die Doppelfenster aus dem Eßzimmer schon den ganzen Winter über im Keller gehabt.
Dresden Giesela Neuhaus *1924
Noch während wir unsere Skianzüge, Skistiefel anzogen, die Stahlhelme aufsetzten und Jürgen aus dem Bett rissen, war Dresden taghell erleuchtet. Lautlos schwebten die Leuchtkugeln (Christbäume genannt) vom Himmel. Wir waren eingeschlossen. Das Bombenziel war festgelegt. Und wir waren mittendrin.
Wir rasten hintereinander in den Splitterschutzgraben in unserem Garten. Die ersten Bomben fielen. Ein furchtbares Dröhnen war in der Luft. Die Flugzeuge flogen dicht über den Häusern. Wir hielten es in dem engen Splitterschutzgraben nicht mehr aus.
Gehetzt rannten wir zurück zum Haus, durch die Kellertür, die in unsere Waschküche führte. Wir warfen uns zu Boden. Jürgen lag unter mir, ich wollte ihn schützen. Ein Bombeneinschlag auf den anderen folgte. Ein Inferno! Vierzig nicht enden wollende Minuten dauerte der Angriff. Und dann war es mit einem Male totenstill. Langsam, ganz langsam erhoben wir uns. Niemand sprach ein Wort. Vorsichtig gingen wir in den Garten. Ein Sturm hatte sich erhoben. Über Dresden brauste ein furchtbarer Feuersturm, er hatte Hurrikanstärke. Ganz Dresden brannte.
Wie durch ein Wunder waren wir verschont geblieben. Haushoch schlugen die Flammen gen Himmel. Langsam traten die Nachbarn aus ihren Häusern. Es war ein gespenstiger Anblick. Wir alle hatten Decken umgehängt. Bei einigen sahen Nachthemden oder Schlafanzüge hervor.
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