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Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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gehts wieder los!« Ich legte meine Brille noch sorglich ins Mittelteil vom Buffet, wir nahmen uns Zeit, ich schleppte aber doch die Daunendecken an jenem Abend mit hinunter. Kaum waren wir alle unten im Keller, da fing es auch schon an zu donnern. Bange Minuten vergingen, alles schwieg vor Entsetzen. Es war anders als sonst, wo wir die Kinder manchmal mit Geschichten unterhielten oder sonst ablenkten.
     
    Dresden Der Kfz-Schlosser Rolf Becker *1929
    Die Sirenen heulten, man hörte auch schon Flugzeugmotoren brummen. Wir wohnten im Hinterhaus und mußten bei jedem Alarm über den Hof in den Luftschutzkeller des vierstöckigen Vorderhauses gehen. In die Kleidung springen und die Koffer und Taschen mit den Habseligkeiten und Dokumenten greifen, das war Routine. Aber als wir über den Hof rannten, sahen wir schon die »Christbäume« am Himmel. Auch erste Bombendetonationen waren zu hören. Vorn im Keller rückten wir ganz eng zusammen, die Erwachsenen hielten sich an den Händen und murmelten vor sich hin. Ich glaube, sie beteten.
    Um mich scharten sich die Kinder des Hauses. Da ich oft mit ihnen spielte oder bastelte, war ich da wahrscheinlich die Bezugsperson. Das Heulen der Bomben und die Explosionen gingen in ein ununterbrochenes Donnern über. Ab und zu schauten wir »Männer«, das heißt ein kriegsverletzter Offizier mit nur noch einemBein, ein Rentner und ich, zur Kontrolle mal nach oben, wie es ausschaut.
    In unserem Häuserviereck brannte es in der Lindenaustraße, etwa in Richtung Kohlen-Hohmann oder Lindenau-Hof. Plötzlich hörte die Hölle der Detonationen auf, es war ganz ruhig. Nur das Knistern der brennenden Häuser und ab und zu die Explosion eines Blindgängers oder Zeitzünders.
    Da in der Gegend nun auch noch andere Häuser brannten, erfüllte ein Knacken der glühenden Dachbalken und ein Funkenregen die Luft. Wir überprüften Haus und Hinterhaus. Wir hatten noch einmal Glück gehabt, alles stand noch. Natürlich alle Scheiben geborsten und die Türen teilweise herausgeflogen. Mein Hund Lux war weg! Er blieb sonst bei Alarm immer im Zimmer und verkroch sich in sein Körbchen. Ich sah ihn nie wieder. Da es auf dem Dach durch die in der Nachbarschaft brennenden Häuser doch etwas warm wurde, viele Funken in der Gegend herumflogen, habe ich dann per Spritze das Dach benäßt. Da das Wasser noch bis in die 4. Etage kam, konnten wir die Behälter immer wieder füllen.
    Meine Mutter und ich packten einen unserer Koffer und rannten auf die Straße. Unsere Kreuzung Werder/Lindenaustraße war ein See, ein Bombentrichter, aus dem Wasser quoll. Durch brennende Häuser war es taghell, und wir sahen überall Verletzte und Tote liegen.
     
    Dresden Eine Schülerin
    Wir saßen vollkommen ruhig im Keller, ich häkelte an einer Tasche. Da wurde plötzlich ein kurzes Sausenvernehmbar – und dann ein Bombeneinschlag in allernächster Nähe – dann wieder Stille wie zuvor – meine Mutter sagte mir später, daß sie diesen ersten Einschlag als Zufallstreffer betrachtet hätte. – Nach diesem ersten Einschlag kam nun noch eine Mitbewohnerin mit ihrem kleinen Enkel auf dem Arm in den Keller hinuntergestürzt. Wir hatten zwar alle bemerkt, daß sie fehlte, aber niemand hatte es für notwendig erachtet, sie in den Keller zu holen. Sie hätte das Klingeln auch gar nicht gehört, denn sie erzählte uns, daß sie Radio gehört hätte, ihr war infolgedessen die Luftwarnung entgangen. Die arme Frau zitterte noch am ganzen Körper und der kleine Enkel fragte erstaunt: »Oma, Deine Hand wackelt ja so?« Aber nun folgten bald die Einschläge in kürzeren Abständen – bis es die Feinde am Himmel dort oben für richtig erachteten, alle paar Sekunden eine Bombe auf die wehrlose Menschheit zu werfen; denn die Flak war zu Ende des Krieges schon lange nicht mehr in Funktion, die Bomber hatten freies Feld.
    11/2 Stunden saßen wir im Keller zusammengekauert auf unseren Sitzen. Jede Minute war eine Ewigkeit. Ich war zu einer Salzsäule erstarrt vor Angst und Schrecken; die Ohren schmerzten mir von dem Lärm der Bombenexplosionen. Die Hauswände schwankten hin und her, der Mörtel und die Glassplitter rieselten unaufhörlich mit klirrendem Geräusch. Meine Tante und mein Onkel beugten sich über ihr drei Monate altes Kind. Es war das einzig ruhige Wesen in diesem Keller, in dem man sonst nur angstgebeugte Menschen sah. Ich stand zusammengeduckt bei meinem Vater und wimmerte leise; er sagte dann zu mir: »Dumußt zum lieben Gott

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