Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)
nächsten Morgen, als es langsam hell wurde, war unsere Mutter bei Gott geborgen. Draussen tobte der Sturm, brauste das Meer wenige Meter von uns entfernt. Drinnen war es still, unendlich still.
Wir sind allein seitdem. Wir haben nicht nur unsere äussere, wir haben auch unsere innere Heimat verloren.
Granly/Dänemark Hans Henny Jahnn 1894–1959
An Henry Goverts
Auch ich habe das Gefühl, daß ein Verhängnis sich nähert, ohne doch zu wissen, welche Gestalt es annehmen wird. Allerlei Schatten fallen bereits über meinen Weg.
STALAG 17 B, Krems/Österreich Der amerikanische Kriegsgefangene Ray T. Matheny *1925
Im Februar 1945 lag der Schnee draußen etwa kniehoch, und im Inneren unserer ungeheizten Baracke war es bitter kalt. Eines kalten Morgens erklärte Feldwebel Struck beim Appell, Oberst Kuntz wolle eine Ansprache an uns halten. Wir standen etwa eine dreiviertel Stunde herum und froren von Minute zuMinute mehr. Die Reihen und Glieder, in denen wir Aufstellung genommen hatten, brachen auseinander, und die Kriegies fingen an, mit Schneebällen zu werfen. Zwei von uns bauten in der Mitte unseres Lagerabschnitts einen kleinen Schneemann mit einem Riesenkopf. Endlich erschien mit einem Adjutanten der Oberst. Struck und Dieter Stramlin versuchten dafür zu sorgen, daß die Schneeballwerferei aufhörte und die Männer wieder zum Appell antraten. Zwar bekamen sie erst etliche Treffer ab, doch dann schafften sie es, Ordnung in unseren Haufen zu bringen. Auf einem Pfad, den Struck und andere bereits in den Schnee getrampelt hatten, kam der Oberst herangestapft. Kurz vor Erreichen des Schneemanns in der Lagermitte blieb er unvermittelt stehen, vollführte Gesten des Abscheus und der Überraschung, und stand schließlich, die Hände in die Hüften gestemmt, da. Der Schneemann war mit Kohlenstücken für Augen und Schnurrbart ausgestattet und sollte offensichtlich Hitler darstellen. Rasch trat der Adjutant vor Kuntz hin und versetzte dem Kopf des Schneemanns einen kräftigen Tritt. Da der Schnee jedoch ziemlich trocken war, drang sein Stiefel nur in das Gesicht ein; sonst passierte nichts. Daraufhin nahm er einen zweiten Anlauf, rutschte dabei jedoch im Schnee aus. Als der Schneemann den Tritt ins Gesicht bekam, jubelten die Männer, und als dann der Offizier im Schnee ausrutschte, lachten sie. Wieder mußte Kuntz eine Niederlage einstecken, was ihn diesmal jedoch zu einem Wutausbruch verleitete. Er kam nahe an unsere Reihen heran, und ich sah sein puterrot angelaufenes Gesicht, sah, wie er schrie und fluchte und sich fadendünnerweißer Schaum auf seinen Lippen sammelte. Was immer er uns hatte mitteilen wollen – es war vergessen.
Kirchhorst Ernst Jünger 1895–1998
Unruhige Nacht. Die Engländer haben eine Zermürbungstaktik angenommen, indem sie mit einzelnen Maschinen beharrlich über der Landschaft kreisen und hin und wieder eine Bombe werfen, damit die Spannung nicht erlahmt.
Auch tagsüber löst ein Alarm den anderen ab. Man hört, daß Dresden schwer angegriffen worden ist. Es wurde damit wohl die letzte unberührte Stadt zertrümmert; Hunderttausende von Brandbomben sollen auf sie geworfen worden sein. Zahllose Flüchtlinge kamen auf den freien Plätzen um.
Ich arbeitete im Garten, aus dessen Boden ich gestern bereits den roten Trieb einer Pfingstrose züngeln sah. Stach auch den Kompost unter der großen Ulme um. Die Art, in der sich alle Dinge dort zersetzen und Erde werden, hat etwas Lehrreiches und Tröstliches.
Gelesen in der kleinen zweisprachigen Heraklit-Ausgabe, die Carl Schmitt mir am 23. März 1933 schenkte, und in der Studie von Louis Réau über Houdon, der mich beschäftigt, seitdem ich im Foyer der Comédie Française seinen Voltaire sah. Der Grad physiognomischer Wahrheit, zu dem dieser Bildhauer aus dem Rokoko aufsteigt, ist außerordentlich; man fühlt, daß hier die innere Wahrheit des Zeitalters selbst sich äußert: sein mathematisch-musikalischer Kern. Ein Meißel von Mozartscher Prägnanz. Lehrreich wäre eine vergleichende Studie über ihn und Anton Graff.
Heraklit: »Die Schlafenden sind Tätige und Mitwirkende beim Geschehen der Welt.«
Das Schlimmste für die Deutschen waren die Erfolge – bei allen gewagten Partien ist der Gewinn am Anfang der gefährlichste. Er ist der Köder, der Angelhaken, an dem sich die Begierde fängt. Auch dazu verführt er den Spieler, daß er die Karten offen zeigt. Er legt die Maske ab.
Nach dem Sieg über Frankreich war auch das
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