Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition)

Titel: Der rote Hahn: Dresden im Februar 1945 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
Bürgertum überzeugt, daß alles in Ordnung sei. Es hörte die Stimme der Unglücklichen, ihr »De Profundis« nicht mehr.
    Übrigens treten die Westmächte in eine ähnliche Lage ein. Der Erfolg macht sie mitleidlos. So wechseln ihre Sender im gleichen Maße, in dem die Waffen überlegen werden, vom Lobe der Gerechtigkeit zu drohenden und racheverheißenden Ausführungen. Die Sprache der Vernunft wird von der Gewalt verdrängt. Die Friedensbereitschaft steht unter dem Zeichen der Waage: stets steigt die eine Schale, während die andere sinkt. Das blieb das gleiche seit Brennus’ Zeit.
    Wer bleibt uns denn nach diesen Schauspielen? Nicht jene, mit denen wir die Genüsse teilten und festlich tafelten, sondern nur jene, die mit uns den Schmerz trugen. Das gilt für die Freunde, die Frauen und für das Verhältnis unter uns Deutschen überhaupt. Wir finden jetzt einen neuen, festeren Grund für unsere Gemeinsamkeit.

Der zweite Angriff 1.30–1.55 Uhr
    (Dresden) Dieter Sachse
    Ein Teil der Alumnen verließ nach dem ersten Angriff die Kreuzschule. Während wir, drei fliehende Kruzianer, uns durch die brennende Stadt schlugen, befand sich Rudolf Mauersberger aus Sorge um seine Jungen auf dem Wege zur Kreuzschule. Was im brennenden Dresden »auf dem Wege sein« hieß, bedarf keiner eingehenden Schilderung. Im Großen Garten, an der Bürgerwiese – ein jeder dachte arglos, daß es hier doch nichts zu zerstören geben könnte – wurde er vom zweiten Angriff überrascht.
     
    Vermerk der Örtlichen Luftschutzleitung Dresden, 0.52 Uhr
    Die Spitze eines neuen Bomberverbandes erreichte Bamberg. Sie nahm Nordostkurs. Außerdem wurden aus der Gegend Mainz-Aschaffenburg starke Bomberverbände gemeldet, die Ostkurs eingeschlagen haben.
     
    Anflug auf Dresden Ein Pilot der 5. Bomberflotte der Royal Air Force
    Der phantastische Schein aus 320 Kilometer Entfernung wurde immer heller, als wir uns dem Ziel näherten. Selbst in einer Höhe von sechstausendsiebenhundert Metern konnten wir bei dem gespenstischen Schein der Flammen Einzelheiten erkennen, die wir nie zuvor gesehen hatten; zum erstenmal seit vielen Einsätzen fühlte ich Mitleid mit der Bevölkerung dort unten.
     
    Mährisch-Ostrau Der Soldat Eduard Lenz 190 1–1945
    An seine Frau
    Ich selbst bin Ladekanonier, damit Du genau über meine Funktion unterrichtet bist. Nachts habe ich nur zwei Stunden Posten.
    Jetzt lese ich Herders »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit«. Seit unsere letzten Kulturdenkmäler (gestern Goethe- und Schillerhaus in Weimar) zerstört sind, fühle ich mich um so stärker verpflichtet, die Atmosphäre des Wirkens unserer Großen Geister in mir erstehen zu lassen. Wie mögen sie auf unseren Kampf herabsehen. Vielleicht bereiten auch sie sich auf das Ende des Jahrhunderts vor.
    Schön gute Nacht, mein Liebstes.
    Es kommen Wellen der Sorge von Dir her.
     
    Bautzen Friedel Lenz, Februar 1944
    An ihren Mann Eduard
    Ruth hatte heute nacht einen seltsamen Traum: Sie hatte Alarm gehört, und der Tod stand vor ihr mit der Sense und stellte sich dann hinter sie. Wohin sie auch ging, was sie auch unternahm, er stand immer wieder hinter ihr. Schließlich fragte sie ihn, warum er das täte. Er antwortete, er stehe hinter allen Menschen, die zu einem frühen Tod berufen sind. Da sagte sie, es seien doch so viele in der Stadt, warum sie es sein müsse? Da hätte er gelächelt und dann gesagt: »Das verstehst du noch nicht. Das sind höhere Geheimnisse.«
     
    über Dresden Ein RAF-Bombernavigator
    Normalerweise verließ ich nie meinen Platz, aber in diesem besonderen Fall rief mich mein Skipper nach vorn, damit ich mir das ansehen sollte. Der Anblick war wirklich phantastisch. Aus einer Höhe von sechstausendsiebenhundert Metern glich Dresden einer Stadt, deren Straßen vom Feuer eingefaßt waren.
     
    (im Westen) Der Soldat Eduard Lenz, Februar 1944
    An seine Frau Friedel
    Weil Du schon bei Träumen bist, heute nacht träumte mein Stubenkamerad, der nüchterne Mann vom Sicherheitsdienst, daß er die halbe Stadt Dresden in Schutt und Asche gesehen habe. »Ja, das war früher einmal der Altmarkt«, habe eine Stimme gesagt. Da er früher selbst einmal in Dresden gelebt hat, geht ihm der Traum sehr nahe. Er träumte übrigens vor vierzehn Tagen vom Tode seines Neffen, und tatsächlich bekam er vorgestern die Nachricht, daß er gefallen sei. So tut sich das Geistige kund, selbst bei einem Menschen, der es in seiner Tagesraison leugnet. Nicht, als ob

Weitere Kostenlose Bücher