Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
einen halben Silberpfennig wert. Und Silberpfennige waren für eine dreiundfünfzigjährige Witwe keineswegs zu verachten.
Meg hatte gute Augen und durchstach das feine Leinen – das Leinen ihrer Tochter – mit großer Präzision. Ihre feinen Stiche waren so gerade wie eine Schwertklinge, sechzehn auf das Zoll, und die Arbeit war genauso gut wie die eines Schneiders aus Harndon – oder sogar besser.
Sie senkte die Nadel in das feine Tuch und zog den Faden vorsichtig hindurch. Dabei spürte sie das zarte Wachs daran; sie spürte die Spannung des kostbaren Stoffes und war sich der Tatsache bewusst, dass sie mit jedem Stich mehr als nur einen Faden zog. Jeder nahm ein wenig Sonne in sich auf. Nach einiger Zeit glitzerte die Reihe ihrer Stiche, wenn sie in einem bestimmten Winkel darauf schaute.
Gute Arbeit machte sie glücklich. Mag betrachtete gern die feinen Kleider, die von der Wäscherin Lis herbeigebracht wurden. Die Ritter in der Festung hatten einige prächtige Stücke, die zwar gut gefertigt, aber schlecht gepflegt waren. Und sie besaßen zahlreiche weniger gut gearbeitete Kleidungsstücke. Meg beabsichtigte, ihnen Kleider, Stopfgarn und andere Hilfsmittel für Ausbesserungen zu verkaufen …
Während der Arbeit lächelte sie über die Welt. Die Ordensschwestern waren im Großen und Ganzen gute Vorgesetzte und viel besser als die meisten Edelleute. Aber die Ritter und ihre Männer brachten nun doch ein wenig Farbe ins Leben. Meg störte es nicht, wenn sie einen Fluch hörte, solange er ein wenig von der Außenwelt nach Abbington am Carak hereinbrachte.
Sie hörte die Pferde und hob den Blick von ihrer Arbeit. Im Westen sah sie Staub aufsteigen. Zu dieser Stunde konnte das nichts Gutes bedeuten.
Sie schnaubte, legte ihre Arbeit in den Korb und verstaute ihre beste Nadel – die aus Harndon stammte, da am Ort niemand so etwas herstellen konnte – sorgfältig in einem Nähkästchen aus Horn. Keine Gefahr war so groß, dass Meg ihretwegen eine Nadel verlieren musste. Sie waren immer schwieriger zu bekommen.
Noch mehr Staub. Meg kannte die Straße. Sie vermutete, dass es zehn Pferde oder mehr sein mussten.
»Johne! Mein Johne!«, rief sie. Der Vogt war ihr Plaudergenosse … und manchmal auch mehr. Er war ebenfalls ein Frühaufsteher, und Meg beobachtete ihn dabei, wie er gerade seine Apfelbäume beschnitt.
Sie stand auf und zeigte nach Westen. Endlich hob er den Arm und sprang von dem Baum herunter.
Er wischte sich die Hände ab und sagte etwas zu einem Jungen, und nur wenige Augenblicke später rannte dieser zur Kirche. Johne hingegen kletterte auf die niedrige Steinmauer, die sein Land von Megs trennte, und verneigte sich.
»Du hast gute Augen.« Er grinste nicht und machte auch keine anzügliche Geste, was sie sehr schätzte. Die Witwenschaft brachte viele unwillkommene Angebote mit sich – doch auch einige willkommene. Er war sauber und höflich und erfüllte damit die Grundbedingungen, die sie an männliche Annäherungsversuche stellte.
Es gefiel ihr, einem Mann ihres eigenen Alters dabei zuzusehen, wie er auf eine Steinmauer sprang.
»Es scheint dir keine großen Sorgen zu machen«, murmelte sie.
»Im Gegenteil«, sagte er gelassen. »Wenn ich eine verwitwete Näherin wäre, würde ich jetzt meine wertvollsten Sachen zusammenpacken und mich darauf vorbereiten, in die Festung zu ziehen.« Er schenkte ihr ein schwaches Lächeln, verneigte sich und sprang wieder von der Mauer herunter. »Schwierigkeiten kommen auf uns zu«, meinte er.
Meg stellte ihm keine dummen Fragen. Noch bevor die Pferde auf den kleinen, von einer uralten Eiche überschatteten Dorfplatz ritten, hatte sie zwei Körbe gepackt – den einen mit Arbeit und den anderen mit solchen Dingen, die sie verkaufen konnte. Sie stopfte den Reisesack ihres Mannes mit Unter- und Überkleidung voll und nahm auch ihren dicksten sowie einen leichteren Mantel mit, die sowohl als Kleidungsstücke wie auch als Schlafdecken dienen konnten. Sie zog das Bett ab, rollte die Laken und Leinenbahnen fest um das Kopfkissen und schnürte ein Bündel daraus.
»Hört her!«, rief eine laute Stimme – eine sehr laute Stimme – auf dem Dorfplatz.
Wie ihre Nachbarn öffnete auch sie nun die obere Hälfte ihrer Vordertür und beugte sich vor.
Auf dem Platz befand sich ein halbes Dutzend bewaffneter Männer, die auf mächtigen Pferden saßen und glänzend polierte Rüstungen sowie scharlachrote Waffenröcke trugen. Bei ihnen befanden sich noch einmal
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