Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
nicht mehr in Frauenkleidern gesehen. Der Umhang war kostbar, bestand aus ausländischem Samt von rötlicher Färbung, doch er war ein wenig verblasst – mit Ausnahme eines rautenförmigen Umrisses über der rechten Brust.
Darauf war ihr Hurenabzeichen genäht, dachte er und starrte den Kruzifixus über dem Altar an, wobei seine zufriedene, losgelöste Stimmung verschwand. Wenn es einen Gott gibt, wie kann er dann so viel schreckliches Elend zulassen und auch noch meinen Dank dafür fordern? Der Hauptmann schnaubte verächtlich.
Um ihn herum sank die Truppe auf die Knie, als der Kaplan, Pater Henry, die geweihte Hostie hob. Der Hauptmann hielt den Blick auf den Priester gerichtet und beobachtete ihn während des gesamten Rituals, welches das Brot in den heiligen Körper Christi verwandelte. Obwohl er von seinen trauernden Kriegern umgeben war, musste der Hauptmann über diese dumme Vorstellung innerlich grinsen. Er fragte sich, ob der stockdürre Priester wohl auch nur ein einziges Wort von dem glaubte, was er da gerade sagte. Müßig stellte er sich die weitere Frage, ob der Mann nicht durch die Einsamkeit, die ihm das Leben in einer reinen Frauenwelt auferlegte, allmählich wahnsinnig werden musste – oder ob er nicht vielmehr von Lust verzehrt wurde. Viele Schwestern waren recht hübsch, und als Soldat wusste der Hauptmann, dass die Schönheit nur im Blick des Beobachters lag und in einem unmittelbaren Zusammenhang zu der Zeitspanne stand, die seit der Begegnung mit der letzten Buhle vergangen war. Da er gerade darüber nachdachte …
Zufällig fing er gerade jetzt Amicias Blick auf. Er hatte sie nicht angesehen, hatte es in vollem Bewusstsein vermieden, denn er wollte nicht schwach, hingerissen, närrisch, beherrschend oder eitel wirken …
Es gab eine lange Liste der Eigenschaften, die er nicht zeigen mochte.
Ihr scharfer Blick sagte: Sei nicht so grob, sondern knie dich hin. Er spürte es so deutlich, dass er die Worte beinahe hörte.
Er kniete sich hin. Sie hatte recht. Gute Manieren waren wichtiger als frommes Geplapper. Falls sie das meinte. Falls sie ihn überhaupt angesehen hatte.
Michael regte sich neben ihm und wagte es, ihm einen raschen Blick zuzuwerfen. Der Hauptmann sah, dass sein Knappe lächelte.
Hinter ihm versuchte Ser Milus ebenfalls ein Grinsen zu verbergen.
Sie wollen, dass ich glaube, denn mein Unglaube bedroht ihren Glauben, und sie brauchen einen Trost.
Der Gottesdienst wurde fortgesetzt, während die Sonne ihre letzten, beinahe waagerechten Strahlen durch die farbigen Fenster auf die weißen Leinensäcke der Toten warf.
Dies irae! Dies illa
Solvet saeculum in favilla:
Teste David cum Sybilla!
Das farbige Licht wurde heller – und jeder Soldat keuchte auf, als die strahlende Pracht auf die Leichname fiel.
Tuba, mirum spargens sonum
Per sepulchra regionum,
Coget omnes ante thronum.
Das ist doch nur eine Sinnestäuschung, ihr abergläubischen Narren! Am liebsten hätte er es laut herausgeschrien. Doch zugleich verspürte auch er eine gewisse Ehrfurcht – er fühlte, wie sich sein Puls beschleunigte. Sie halten den Gottesdienst zu dieser Stunde ab, damit die Sonnenstrahlen im richtigen Winkel durch die Bleiglasfenster fallen, dachte er. Aber es muss schwierig sein, die Messe genau darauf abzustimmen, gab er vor sich selbst zu. Und die Sonne kann nicht allzu oft im genau richtigen Winkel stehen.
Sogar der Priester war ins Stocken geraten.
Michael weinte. Und er war nicht der Einzige. Auch Pampe und Tom Schlimm weinten. Er sagte immer wieder »Deo gratias« durch seine Tränen hindurch, und seine raue Stimme war ein Kontrapunkt zu der Pampes.
Als es vorbei war, trugen die Ritter der Truppe die Leichen auf Bahren, die aus Speeren gefertigt waren, aus der Kapelle und den Hügel hinunter, um sie im geweihten Boden beim Schrein an der Brücke zu beerdigen.
Ser Milus kam herbei, legte dem Hauptmann die Hand auf die Schulter – eine seltene Geste der Vertrautheit – und nickte. Seine Augen waren gerötet.
»Ich weiß, was Euch das kostet«, sagte er. »Danke.«
Jehannes grunzte. Nickte. Wischte sich die Augen mit dem Ärmel seines schweren Wollrocks. Spuckte aus. Und sah ihn schließlich an. »Danke«, sagte auch er.
Der Hauptmann schüttelte bloß den Kopf. »Wir müssen sie noch begraben«, bemerkte er. »Sie sind und bleiben tot.«
Die Prozession schritt durch die Haupttür der Kapelle. Angeführt wurde sie zwar von dem Priester, aber die Äbtissin war der
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