Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
führen. Und dieser Angriff kann jederzeit erfolgen. Sie haben sich zusammengerottet, und zwar in großer Zahl in Eurem Wald.«
Nachdenklich sah sie ihn an. »Ich vermute, das ist nicht der dramatische Versuch, Eure Entlohnung zu erhöhen?«, fragte sie. Ihr Lächeln war schwach und zeigte sowohl Angst als auch Belustigung. »Nein?«, fragte sie mit belegter Stimme.
»Mein Jäger und ich, wir sind der Spur – der hermetischen Spur – des Dämons gefolgt, der Hawisia umgebracht hat«, erklärte er.
Sie bedeutete ihm, sich auf einen Schemel zu setzen, und er bemerkte, dass ein Glas Wein auf dem kleinen Tisch daneben stand. Er trank ihn. In dem Augenblick, in dem seine Lippen den Becher berührten, rann bereits beißendes Feuer durch seinen Schlund. Er setzte den Becher etwas zu hart ab; das Horn verursachte ein klackendes Geräusch auf dem Holz, und die Äbtissin sah ihn an.
»Ist es schlimm?«, fragte sie.
»Zuerst haben wir den Leichnam eines Mannes gefunden, der wie ein Soldat gekleidet war. Aber er wird ein Wildbube gewesen sein.« Er holte tief Luft. »Erinnert Ihr Euch an die Wildbuben, Äbtissin?«
Ihr Blick glitt von ihm ab und richtete sich in eine andere Zeit. »Natürlich«, sagte sie. »Mein Geliebter ist im Kampf gegen sie gestorben. Ein Grund für Buße. Mein Geliebter. Die Liebe.« Sie lächelte. »Aber meine alten Geheimnisse sind hier nicht von Belang. Ich kenne die Wildbuben – die geheimen Diener des bösen Feindes. Der alte König hat sie ausgerottet.« Sie hob den Blick und sah ihn wieder an. »Aber Ihr habt einen gefunden. Zumindest habt Ihr mir das Blatt eines solchen Wildbuben gezeigt.«
»Er war tot. Es sah so aus, als wäre er vor kurzer Zeit umgebracht worden, und zwar von seinesgleichen.« Der Hauptmann fand eine Karaffe mit Wein und goss sich einen zweiten Becher ein. »Ich könnte wetten, dass er nur wenige Stunden nach Schwester Hawisia gestorben ist. Aber den Sinn darin, den sehe ich nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Dann sind wir nach Westen gezogen und der Spur gefolgt.« Er ließ sich schwer auf den Stuhl nieder.
Sie beobachtete ihn.
»Und dann haben wir dieses Geschöpf gefunden.« Er sah sie eindringlich an. »Einen Adversarius . Wisst Ihr, was das ist?«, fragte er.
»Jeder aus meiner Generation weiß das.« Ganz kurz bedeckte sie die Augen mit ihrer Hand. »Dämonen. Die Wächter der Wildnis.«
Er stieß die Luft aus. »Ich hatte geglaubt, die Berichte seien übertrieben.« Dann sah er aus dem Fenster. »Jedenfalls waren es zwei. Ich vermute, dass die Wildbuben und die Dämonen zusammenarbeiten. Wenn dem so ist, dann ist das kein zufälliger Zwischenfall gewesen. Ich glaube, sie sind die Vorboten eines Angriffs und sollen Eure Stärke auf die Probe stellen. Vermutlich wird Eure Festung das Ziel sein. Auf alle Fälle besitzt sie eine ungeheure strategische Bedeutung. Ich muss Euch bitten, meinen Truppen Einlass zu gewähren, dann die Tore zu schließen, Euch zur Verteidigung bereit zu stellen und die Festung mit ausreichenden Nahrungsmitteln zu versehen. Natürlich solltet Ihr auch Eure Lehensleute hereinlassen und dem König eine Botschaft schicken.«
Sie sah ihn lange an. »Solltet Ihr geplant haben, meine Festung für Euch selbst einzunehmen …«, sagte sie und verstummte dann.
»Mylady, ich stimme Euch zu, dass dies eine brillante Kriegslist wäre. Ich stimme Euch sogar darin zu, dass mir ein solcher Gedanke kommen könnte. Ich habe im Osten gekämpft – und dort haben wir so etwas durchaus getan.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber das hier ist mein eigenes Land, Mylady. Und wenn Ihr an mir zweifelt – Ihr habt jedes Recht dazu –, dann solltet Ihr einmal einen Blick auf das werfen, was meine Bogenschützen gerade vor den Toren unseres Lagers vorbereiten.«
Sie warf einen Blick aus dem Fenster.
»Ihr könntet mir sagen, dass ein Engel des Herrn vor den Toren Eures Lagers steht und Euren Bogenschützen mitteilt, ich sei die schönste Frau seit Helena, und ich würde Euch nicht glauben, weil ich es nicht sehen kann«, sagte sie. »Aber ich habe Euch gesehen. Ich kann Eure Macht riechen. Und jetzt verstehe ich auch die anderen Dinge, die ich gesehen habe.«
»Ihr seid eine Astrologin«, sagte er und dachte dabei: Ich denke zu langsam.
»Ja. Und Ihr seid sehr schwer zu lesen. Es ist, als ob … als ob Ihr eine Art Schutz gegen meine Kunst besäßet.« Sie lächelte. »Aber ich bin keine Novizin, und Gott hat mir die Macht gegeben, in die Seelen zu
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