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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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Seele bekannt war. Ohne Widerspruch folgten ihm seine Begleiter, und um mich herum wurde es schwarz.
    Ich weiß nicht mehr viel von der Zeit, die ich krank, dem Tode nahe, in der Behausung des fremden Mannes verbrachte. Allmählich ging mir auf, dass es sich um einen Medizinmann handeln musste, der in diesen Breiten tohunga genannt wird. Ungeachtet meiner Anwesenheit gingen die Dorfbewohner bei ihm ein und aus, holten sich Ratschläge und Kräuter ab. Vergeblich bemühte ich mich, die Sprache zu verstehen. Mochte man bei den europäischen Sprachen noch das Glück haben, gewisse Wörter ableiten zu können, hier war das vollkommen unmöglich. Entweder rollten die Laute sanft wie die Brandung an den Strand oder sie klangen hart wie Donnerhall. Des Öfteren habe ich geglaubt, dass sich die Dorfbewohner streiten würden, doch dann habe ich an ihren Gesichtern erkannt, dass dem nicht so war.
    »Ich möchte deine Sprache sprechen«, eröffnete ich dem tohunga , als er nach einer Wanderung mit einer Tasche voller Kräuter zurückkehrte. Mittlerweile ging es mir schon etwas besser, und ich verging vor Langeweile auf meinem Lager. Außerdem brannten die Narben unter meinem Schweiß, und ich konnte es kaum erwarten, etwas zu tun zu bekommen.
    Verwundert blickte er mich an, lehnte aber weder ab noch sagte er zu. »Du willst hier bleiben?«
    Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Natürlich wollte ich nicht bleiben, nicht für immer, auch wenn man mich hier allseits freundlich behandelte. Doch welche Möglichkeiten hatte ich schon, von hier fortzukommen?
    Nur wenige Schiffe liefen Neuseeland an, und selbst nach Australien konnte man von hier aus mit einem einfachen Boot nicht gelangen. Ich musste den Tatsachen ins Auge sehen – wenn mich das Glück endgültig verlassen hatte, musste ich für den Rest meines Lebens hier bleiben und würde meine Heimat und meine Eltern nie wiedersehen. Ein Schauer überlief mich plötzlich. Was, wenn meine bösartigen Kameraden die Nachricht nach Hause bringen würden, dass ich in dem fremden Land umgekommen war? Oder wenn sie verbreiteten, welches Verbrechen ich angeblich begangen hatte?
    »Dir nicht gut?«, durchbrach die Stimme des Heilers meine unheilvollen Gedanken. »Du hinlegen, ich mache rongoa.«
    Wieder so ein Wort, das ich nicht kannte! Doch da meine wirbelnden Gedanken mir auch körperliches Unwohlsein verschafften, kam ich seiner Aufforderung nach und legte mich zurück auf die schweißfeuchte Decke.
    »Ich dir beibringen unsere Sprache«, vernahm ich die Stimme des Heilers. »Wenn du kräftiger geworden.«
    Obwohl mich die Aussicht, für immer hierbleiben zu müssen, erschreckte, war ich doch gespannt darauf, diese seltsame Sprache erklärt zu bekommen. Doch wie würden mich die Leute aufnehmen? Noch war ich krank, und es entsprach sicher ihrer Gastfreundschaft, einem Menschen in Not zu helfen. Doch wenn ich für immer hier bleiben wollte, würde das vielleicht anders aussehen.
    In den folgenden Tagen drehten sich meine Gedanken ausschließlich um meine Gefangenschaft auf dieser Insel. Mein Zustand verschlechterte sich wieder, und das Fieber kehrte zurück. Der Heiler nahm seine Gesänge wieder auf, Tag und Nacht hockte er an meinem Bett und flößte mir zwischendurch eine bittere Brühe ein, rongoa, was nichts anderes bedeutete als Medizin. Besser wurde es dadurch nicht. Ich dämmerte vor mich hin, aß nichts und trank nur, wenn man mich dazu zwang. Meine Narben brannten, obwohl der Heiler meinte, dass sie gut verheilten. Wahrscheinlich wäre ich in den kommenden Tagen gestorben, hätte der Heiler nicht erkannt, was der wahre Grund für meine Schwäche, meine Niedergeschlagenheit war.
    »Dunkle Wolke liegt auf Geist.« Er tippte sich an die Schläfe. »Wenn wir nicht vertreiben, du sterben.«
    In diesem Augenblick war es mir tatsächlich egal, ob ich lebte oder starb. War ich vor einigen Jahren noch aus meinem Elternhaus geflohen, weil ich das Gefühl hatte, darin zu ersticken, so sehnte ich mich jetzt fast schon schmerzlich dorthin zurück. Wäre es denn wirklich so schlimm gewesen, Recht zu studieren? Meinen Eltern auf ihre alten Tage ein gesichertes Auskommen zu verschaffen? Stattdessen war ich fortgelaufen und bekam nun meine Strafe dafür. Ewige Haft in einem fremden Land und Eltern, die glaubten, dass ihr einziger Sohn tot sei.
    »Du willst sterben?«, fragte mich der Heiler unverhohlen.
    Obwohl mein Geist diese Frage nur allzu freudig bejaht hätte, meldete sich

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