Der Rote Mond Von Kaikoura
wandten die Leute neugierig die Köpfe. Aperahama nickte einigen von ihnen zu, erklärte allerdings nichts. Das brauchte er auch nicht, denn obwohl ich noch immer die Decke auf den Schultern trug, war ich nicht länger das wandelnde Elend, sondern folgte dem Heiler einigermaßen aufrecht, was nur hieß, dass seine Behandlung erfolgreich gewesen war.
Da Aperahama der Meinung war, es würde gut für mich sein, die Kräfte papas und rangis zu spüren, kehrte ich in regelmäßigen Abständen an diesen Ort zurück. Mittlerweile hatte ich von dem Heiler erfahren, dass es sich bei papa und rangi nicht um Dämonen handelte, sondern um die obersten Gottheiten, wobei papa die Mutter Erde und rangi den Vater Himmel verkörperte.
Natürlich brannte mein Geist noch immer darauf, zur Mission zu gehen und heimzukehren, doch irgendetwas an diesem Felsen mit seinem bemoosten Steinkreis und der herrlichen Aussicht brachte mich dazu, meine Abreisepläne nach hinten zu verschieben. Was würde es schon ausmachen, wenn ich einen, zwei oder drei Monate hier blieb? Da mein Verstand wieder klar und die körperlichen Beschwerden beinahe verschwunden waren, erinnerte ich mich wieder an mein Anliegen, selbst Forscher zu werden. Was könnte ich den Leuten in meiner Heimat alles über die Eingeborenen hier erzählen!
Schreibzeug hatte ich freilich nicht, doch ich nahm so viel wie möglich in meinen Verstand auf.
In einer dieser Nächte schlich ich mich aus der Hütte des Heilers. Bei Tag meinte ich schon alles gesehen zu haben, also wollte ich feststellen, welche Geheimnisse der nächtliche Wald und der Sternenhimmel boten, den ich seit meiner Zeit auf dem Schiff nicht mehr bewusst betrachtet hatte.
Als ich vor die Hütte trat, schien auf den ersten Blick alles ruhig zu sein. In den Hütten waren die Feuerstellen verloschen, und auch sonst gab es nirgendwo mehr ein Licht außer den Mond am Himmel, der sich mit weißen Nebeln verschleierte wie eine Haremsdame im Orient. Doch kaum näherte ich mich dem Dorfrand, hörte ich sie: Nachtjäger. Die Luft war erfüllt von leisem Rascheln und Raunen, hin und wieder ertönte ein Fiepen oder ein leiser Ruf. Das Tappen kleiner Füße hallte über den Boden und das Laub raschelte, sobald sie es berührten.
Fast bereute ich es, keine Lampe mitgenommen zu haben, doch da mich die Nacht so vollkommen umfangen hatte, wollte ich den Zauber nicht zerstören, indem ich umkehrte. Nach einer Weile gewöhnten sich meine Augen, und mein Gehörsinn schärfte sich weiter. Auf einem mondbeschienenen Stamm entdeckte ich eine Art Fledermaus mit verkrüppelten Flügeln, an denen sie sich auf der Rinde emporzog. Zunächst hielt ich es für eine bedauerliche Laune der Natur, doch dann sah ich ein zweites Tier, das genauso aussah. Offenbar hatten die Fledermäuse hier wirklich keine richtigen Flügel. Aber warum? Hatte sich jemand diese Frage schon einmal gestellt? Waren diese seltsamen Fledermäuse schon von einem Naturkundigen erforscht worden?
Ich würde viel zu berichten haben, wenn ich nach Hause zurückkehrte. Während der Überfahrt wollte ich alles aufschreiben, was ich hier gesehen und gehört hatte.
Nachdem ich mich eine Weile halb blind zwischen Farnen, Buschwerk und Bäumen hindurchgetastet hatte, glaubte ich schon fast, dass ich mich rettungslos verlaufen hätte und erst am Morgen wieder zum Dorf zurückkehren könnte. Doch da riss der Vorhang des Waldes auf und zeigte mir, dass ich instinktiv denselben Weg gewählt hatte, den ich auch am helllichten Tag seit einiger Zeit einschlug.
Der Zauber der Lichtung – des heiligen Ortes der Maori – war zu Nachtzeiten anders, aber nicht weniger reizvoll. Die zu einem Kreis angeordneten Steine wirkten wie eine Schar geisterhafter Gnome, die sich um den Mittelstein scharten, dessen Muster durch das grelle Mondlicht und die harten Schatten noch deutlicher hervorzutreten schien. Nach kurzem Zögern stellte ich mich auf diesen Stein, breitete die Arme aus und atmete tief ein. Ich erwartete nicht, das gleiche Schwebegefühl zu erleben wie mit Aperahamas Musik, doch als ich zum Himmel aufsah, das Kreuz des Südens erblickte und die vielen Sterne, aus denen die Milchstraße gewoben war, glaubte ich wirklich, einen göttlichen Zauber zu erleben. Den Zauber der Sterne. So oft hatte ich sie vom Deck eines Schiffes aus gesehen, doch niemals so wie in dieser Nacht.
An diesem Ort brauchte ich nicht zu fürchten, von einer Wache entdeckt und verjagt zu werden. Und ich war sicher
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