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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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mein Herz durch meinen Mund zu Wort.
    »Nein, ich will nicht sterben!«
    »Dann wir vertreiben Wolke.«
    Der Heiler trat neben mich, und ehe ich mich’s versah, hievte er mich mit unerwarteter Kraft in die Höhe.
    »Was soll das?«, fragte ich, und beinahe fürchtete ich schon, er würde mich aus seiner Hütte werfen. Doch nachdem er mich halbwegs auf meine zittrigen Beine gestellt hatte, warf er mir eine Decke über und antwortete: »Ich bringe dich zu heiligem Ort. Dort papa und rangi dich sehen und helfen.«
    Ich hatte es aufgegeben, mich über die seltsamen Bezeichnungen zu wundern, und in diesem Augenblick steckte auch nicht mehr genug Lebenswille in mir, um nachzufragen, wer papa und rangi waren. Meinetwegen hätten es Dämonen aus den finstersten Tiefen der Hölle sein können, die mich zerfleischen und endlich erlösen würden.
    Auf wackligen Beinen, gestützt auf den jungen Heiler, trat ich schließlich vor die Hütte – und in diesem Augenblick geschah etwas Seltsames mit mir. Ich sah in dem Dorf nicht mehr irgendein verlassenes Rattennest, sondern einen Ort, der meiner Vorstellung vom Paradies verdammt nahe kam. Einige Dorfbewohner hatte ich ja bereits kennengelernt, doch in der Umgebung ihrer mit wunderschönen Schnitzereien versehenen Hütten wirkten sie wie Menschen im Garten Eden. Die Männer trugen nur einen Lendenschurz, dafür war ihre Haut mit wunderbaren Zeichnungen bedeckt; einige von ihnen trugen Federn und Perlen im Haar. Die Frauen hüllten sich in bunte Tücher, die auf raffinierte Weise um ihre Körper geschlungen waren. Einige jüngere Frauen trugen Blumen im Haar, beinahe ausnahmslos wallten ihre Haare lang und lockig über ihre Schultern. Kaum jemand blickte mich nicht an; so elend, wie ich aussah, wunderten sie sich vielleicht, dass ich überhaupt noch imstande war zu gehen.
    Der Heiler sagte etwas zu ihnen; wahrscheinlich erklärte er ihnen jetzt, wohin wir gingen – ganz bestimmt sagte er ihnen nicht, dass sie wegschauen sollten, denn das taten sie nicht. Ihre Blicke verfolgten uns bis ins Dorf hinaus, und ich meinte, sie sogar dann noch zu spüren, als sich hinter uns der Busch wieder schloss.
    »Was hast du deinen Leuten gesagt?«, fragte ich den Heiler, während wir an riesigen Farnen vorbeigingen. Über uns riefen die Vögel ihre fremden Laute, durch den Nebel unsichtbar in den Baumkronen, und noch andere Rufe hallten über unsere Köpfe hinweg.
    »Ich sagte, ich dich bringen zu heiligem Ort, wo ich vertreiben werde Geister, die machen deine Seele schwarz. Wenn gelingt, dann bringe ich dir unsere Sprache bei.«
    »Woher kannst du eigentlich so gut Englisch?«, fragte ich weiter, denn der Klang meiner eigenen Stimme hatte irgendwie etwas Beruhigendes an sich inmitten all der fremden Geräusche, die mir beim ersten Mal, als man mich durch den Busch geführt hatte, gar nicht aufgefallen waren.
    »Habe es gelernt in Mission. Nicht weit von hier pakeha mit seltsamen Kleidern, die reden von ihrem Gott. Sie mir bringen bei Sprache, aber ich niemals aufgebe papa und rangi .« So ehrfürchtig, wie er beim Sprechen gen Himmel und Erde deutete, vermutete ich, dass es sich um Götter handelte. Götter, die die Missionare sicher als Dämonen bezeichneten.
    Auf einmal schoss mir etwas durch den Sinn: Wenn es hier Missionare gab, wäre es wohl doch nicht ganz aussichtslos, nach Hause zu kommen. Immerhin würden sie Berichte an ihre Heimat schicken, und die mussten verschifft werden!
    Ein freudiges Kribbeln tobte in meinem Bauch, beinahe war ich versucht zu sagen, dass wir nicht mehr zum heiligen Ort zu gehen brauchten, denn nun hatte ich den Strohhalm, an den ich mich klammern konnte, um mich aus dem Dunkel zu ziehen.
    Doch der Heiler hätte gewiss nicht kehrtgemacht, ohne sicherzugehen, dass ich meine Dämonen los war.
    Nachdem wir noch eine Weile durch den Busch gelaufen waren – ich mit deutlich erstarkten Gliedern, denn die Hoffnung ließ mich alle Schwäche vergessen –, erreichten wir eine felsige Anhöhe, die frei von Bäumen einen herrlichen Ausblick auf die Landschaft bot. Die Steine, die aus dem Boden ragten, wirkten wie zufällig dorthin geworfen, doch als ich näher trat, sah ich, dass sie von Menschenhand zu einer Art Kreis arrangiert worden waren – und das wohl schon vor langer Zeit, wie der Moosbewuchs verriet.
    Der Heiler, von dem mir auffiel, dass ich seinen Namen noch immer nicht kannte, bugsierte mich in die Mitte des Kreises auf eine Steinplatte, in die wellenförmige

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