Der Rote Mond Von Kaikoura
vor den Zudringlichkeiten des Engländers. Ich konnte jeden einzelnen Stern aus dem Dunkel hervortreten sehen, ich entdeckte die Krater auf dem hellen Gesicht des Mondes und wusste plötzlich: Wenn es etwas gab, das ich erforschen wollte, dann das Glitzern und Leuchten über mir. Die Welt der Sterne.
Ich weiß nicht, wie lange ich dort gestanden habe, den Kopf in den Nacken gelegt, die Schmerzen ignorierend, die diese unbequeme Haltung mir verursachte. Die Nacht zog allmählich vorüber und wurde von strahlendem Morgenrot abgelöst, das rasch den Himmel färbte. Während die Nachtjäger jetzt in ihre Verstecke zurückkehrten, erwachten die Tagsänger und zogen mich mit ihren Rufen in den Busch zurück. Als ich schließlich beim Dorf ankam, erwartete mich Aperahama vor seiner Hütte. Sein Lächeln war so breit wie ein perfekter Halbmond.
»Ich habe mir nur die Sterne angesehen«, erklärte ich, worauf er nickte und dann ins Innere der Hütte deutete. Doch ich wollte mich jetzt nicht schlafen legen. Meine Gliedmaßen strotzten nur so vor Energie; wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich wohl mehr als hundert Mal um das Dorf herumlaufen können, ohne zu ermüden. Also zog ich mich nur deshalb in die Hütte zurück, um die Bilder, die ich in der vergangenen Nacht gesehen hatte, zu einer Karte zu formen, auf der ich mich mühelos durch die Welt der Sterne bewegen konnte.
Als ich zwei Tage später wieder zu dem Ort ging, kam es zu einer denkwürdigen Begegnung. Wie immer saß ich in der Mitte des Steinkreises und lauschte dem Gesang des Windes und der fernen Bäume, als hinter mir plötzlich etwas raschelte. In der Annahme, dass es ein Tier sei, das sich hierher verirrt hatte, wandte ich mich um und sah direkt in die goldenen Augen einer jungen Frau. Ihr langes schwarzes Haar wehte frei im Wind, der ihr das Gewand an den Leib drückte. Mit ungläubigem Blick musterte sie mich, und ich dachte fast schon, dass sie kehrtmachen und davonlaufen würde. Doch dann trat ein schüchternes Lächeln auf ihre Lippen, das schönste, das ich je bei einem Menschen gesehen hatte. Ich fragte mich, was sie hier zu suchen hatte. Wollte sie ihre Götter um etwas bitten? Oder war sie mir gar gefolgt? Während meiner Streifzüge durch das Dorf und die Umgebung waren mir des Öfteren Mädchen aufgefallen, die mich beobachtet hatten. Ja, wenn ich genau darüber nachdachte, glaubte ich, das Mädchen bereits gesehen zu haben, und das vor nicht allzu langer Zeit.
Die Tochter des Häuptlings! Sie war ein paar Mal zum Heiler gekommen und hatte ihn um Kräuter gebeten. Ich hatte damals zu viel mit mir selbst und meiner Verzweiflung zu tun gehabt, um sie wirklich zu beachten, aber jetzt fiel mir alles wieder ein.
»Haere mai«, sagte ich etwas unbeholfen auf Maori. Dies waren die ersten Worte gewesen, die der Heiler mir beigebracht hatte.
Das Mädchen jedoch erwiderte nichts. Es sah mich nur mit großen Augen an, was mir nach einer Weile ein wenig unangenehm wurde, denn ich fühlte mich, als würden sie jeden meiner Makel sehen. Damals hatte ich noch keine Ahnung, warum es mir auf einmal wichtig war, ohne Fehl und Tadel vor ihr zu erscheinen. Ich senkte beschämt den Blick und wünschte mir, noch mehr Maori-Wörter zu beherrschen, Wörter, mit denen ich mich aus meiner Verlegenheit hätte manövrieren können. Doch mir blieb nur Schweigen, ebenso wie ihr.
Erst nach einer ganzen Weile, in der ich angestrengt auf den Boden gestarrt hatte, vernahm ich wieder ein Rascheln. Als ich aufblickte, war sie verschwunden. Wie hatte sie es nur so schnell tun können?
Obwohl es sicher nicht schicklich war, einem Maori-Mädchen nachzulaufen, erhob ich mich und tauchte ebenfalls ins Buschwerk ein. Doch finden konnte ich sie nirgends. Irgendwo flatterte eine Schar Tauben auf, was mich vermuten ließ, dass sie in diese Richtung gelaufen war. Doch als ich dort ankam, fand ich nichts weiter als ein paar Federn, die die Tauben beim Aufflattern verloren hatten.
Ein wenig niedergeschlagen kehrte ich schließlich ins Dorf zurück. Aperahama fiel die Verdunklung meiner Stimmung sofort auf. »Was ist mit dir?«, fragte er, während er ein gelbes Pulver in einem Mörser zerstieß. »Dir etwas geschehen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, jedenfalls nichts Schlimmes.« Ich rang eine ganze Weile mit mir, ob ich ihm von der Begegnung erzählen sollte. Vielleicht würde das Mädchen Ärger bekommen, wenn der Heiler von dem Zusammentreffen erfuhr. Ich beschloss also zu
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