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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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Wachteln aussahen. »Doch hoffentlich keine Kiwi!«
    Henare schüttelte lachend den Kopf. »Nein, das sind Muttonbirds. Die Maori sammeln sie aus ihren Nestern.«
    »Sammeln?«
    »Wie würden Sie es nennen, wenn man die Vögel nicht jagt, sondern einfach nur aufhebt?«
    »Und das lassen die Tiere zu?« Je mehr Lillian darüber nachdachte, desto weniger wollte sie einen von den Vögeln probieren.
    »Die Jungtiere können noch nicht fliegen, und ihre Eltern haben gegen den Menschen keine Chance, ihre Jungen zu verteidigen.«
    »Aber das ist doch eigentlich grausam.«
    »Nein, das ist das Prinzip der Natur. Fressen und gefressen werden. Nicht einmal die Menschen sind davor sicher.«
    »Und von wem sollten wir gefressen werden?«
    »Von Haien oder Tigern«, gab Henare mit scherzhaftem Funkeln in den Augen zurück.
    Lillian musste zugeben, dass er recht hatte. »Wenn Sie es so sehen wollen … Na, immerhin werden wir nicht gesammelt.«
    »Wenn Haie Hände hätten, würden sie gewiss auch das tun.« Demonstrativ nahm Henare einen der kleinen Vögel und begann, ihn rundum abzunagen.
    Als Lillian sah, dass auch ihr Großvater und Mr Caldwell beherzt zugriffen, fischte sie sich ebenfalls ein Vögelchen von der Platte und probierte. Das zarte Fleisch erinnerte sie ein wenig an Taube, nur dass es kräftiger schmeckte, was ihr allerdings sehr gefiel, und so griff sie nach einem zweiten, kaum dass sie den ersten Muttonbird verzehrt hatte.
    Den ganzen Abend über wurde gegessen und geredet; hin und wieder tauchten ein paar Maorifrauen bei Lillian auf und erkundigten sich nach ihrem Land und den Bräuchen bei ihr zu Hause. Henare gab Lillian zwischendurch Hinweise, welche Antworten auf die Fragen angebracht waren. Lillian erfuhr, dass die Maori nicht so sehr darauf Wert legten, aus welcher Stadt sie kam, sondern wie der Berg in der Nähe hieß.
    »Berge sind den Maori heilig«, erklärte ihr Henare, als Lillian verwundert dreinschaute. »Von ihnen aus können sie Kontakt zu den Göttern aufnehmen. Jeder Stamm fühlt sich einem bestimmten Berg zugehörig, und dementsprechend interessiert es sie, zu welchem Berg Ihr Stamm gehört.«
    Das fand sie ein wenig merkwürdig, doch als sie behauptete, dass der Loreley-Felsen ihre Heimat sei, gaben sich die Frauen zufrieden und versuchten daraufhin, den ihnen seltsam erscheinenden Namen nachzusprechen.
    Zu Ehren der Gäste wurden schließlich noch ein paar Lieder gesungen, und die Männer führten einen Tanz auf. Als Lillians Blick zu ihrem Großvater schweifte, bemerkte sie eine seltsame Versunkenheit an ihm. Während sein Blick starr auf eine der geschnitzten Götterstatuen gerichtet war, bewegten sich seine Lippen, als wollte er die Lieder mitsingen. Sicher, die Melodien waren mitreißend, doch war ihr Großvater wirklich lange genug hier gewesen, um diese Lieder zu lernen?
    Schließlich erhob sich der ariki , was für die Maori das Ende der Feier bedeutete. Nach und nach leerte sich das Haupthaus, und auch Lillian und ihre Begleiter traten nach draußen.
    Mr Caldwell wirkte ein wenig unzufrieden, hatte er sich doch offenbar insgeheim erhofft, dass der Häuptling seine Meinung ändern und eine Entscheidung verkünden würde. Doch wie Lillian mitbekommen hatte, hatten sie während des ganzen Abends kaum miteinander gesprochen.
    Auch ihr Großvater wirkte ein wenig verändert. Nach irgendwas schien er Ausschau zu halten, doch Lillian konnte nicht erkennen, was es war.
    Während Caldwell etwas vor sich hin murmelte und ihr Großvater wieder in Grübelei versank, kehrten sie zum Gästehaus zurück, in dem eine Feuerschale einen gemütlichen Lichtschein an die Wände warf.
    Doch an Schlaf war für Lillian nicht zu denken. Sie machte sich zwar auf ihrem Lager lang, doch schon bald überkam sie die Unruhe, sodass sie sich wieder aufsetzte. Um ihre Gedanken und die vielen Eindrücke ein wenig ordnen zu können, schlich sie sich an den Männern vorbei und trat auf die Veranda des Gästehauses.
    Stille hatte sich über das Dorf gesenkt. Das Kreuz des Südens leuchtete als prachtvolle Krönung des Sternenhimmels über ihr. Zwischen den Bäumen mühte sich langsam der Mond hinauf und ließ die Kronen wie ein dunkles Gebirge wirken, das das Dorf schützend umfing. In der Ferne, vom Mondlicht nur schwach beschienen, zeichneten sich die Umrisse der Berge ab, die ihr Großvater für den Bau seiner Sternwarte in Erwägung gezogen hatte.
    Würde sie dort oben leben wollen? Einsam, von aller Welt

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