Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
Vom Netzwerk:
ausmachen konnte.
    Sie wandte ihren Kopf also wieder den Hütten zu, deren Dächer im ersten Morgenlicht regelrecht zu leuchten schienen. Zwischen den Gebäuden stiegen hier und da schmale Rauchsäulen auf. Es dauerte nicht lange, da mischte sich der Geruch von angesengtem Holz in die morgendliche Frische. Bereiteten da irgendwelche Frauen das Frühstück zu? Oder hatte das Feuer noch einen ganz anderen Zweck?
    Bei näherem Hinsehen erkannte sie etwas, das ihr am Vortag noch nicht aufgefallen war. Selbst einfache Häuser waren mit Schnitzereien geschmückt. Und neben einer dieser Hütten entdeckte sie sogar ein kleines Boot, und das, obwohl es hier weit und breit kein Gewässer gab, auf dem sie es hätten benutzen können. Lillian erinnerte sich, in einem der Bücher ihres Großvaters gelesen zu haben, dass die Maori einst von Polynesien aus übers Meer gekommen waren und dieses Land in Besitz genommen hatten. Stand das Boot dafür? Oder war es schlichtweg nur ein Gut, dessen sich der Besitzer nicht entledigen konnte oder wollte?
    Während sie sich das noch fragte, erblickte sie die alte Frau wieder, die am Vortag die Streitenden zur Räson gebracht hatte. Diesmal ging sie auf einen Stock gestützt zu einer Hütte, aus der ihr ein junges Mädchen entgegentrat. Das Mädchen begrüßte die Alte respektvoll und ließ sie dann ein. Was die Alte da wohl wollte?
    Und da waren noch ein paar Männer, die einen langen Balken über der Schulter am Gästehaus vorbeitrugen. Lillian musste schmunzeln, denn sie erinnerten sie irgendwie an Zimmerleute in Köln. Im Gegensatz zu denen trugen sie nur kurze Hosen und ein Tuch über der Schulter, das mehr Schutz als Kleidungsstück war. Der Anblick der Muskeln, über die sich glänzende braune Haut spannte, fesselte sie regelrecht, obwohl sich das eigentlich nicht gehörte.
    Ein Geräusch von der Seite brachte sie dazu, sich errötend von dem interessanten Anblick abzuwenden. Henare hatte sich erhoben und offenbar noch nicht mitbekommen, dass sie hinter dem Vorhang bereits wach war. Verstohlen beobachtete sie, wie er sich seines Hemdes entledigte und dann zur Waschschüssel ging. Natürlich hatte sie schon Männer mit nacktem Oberkörper gesehen, auf den Straßen Kölns hatten sich hin und wieder nach Hause kommende Arbeiter an den Brunnen gewaschen. Doch diese Männer waren meist vom Alter und schwerer Arbeit gezeichnet gewesen. Henare hingegen war noch jung, unter seiner goldenen Haut spannten sich die Muskeln, und nirgends am Körper hatte er eine Narbe oder auch nur ein Gramm Fett zu viel.
    Ein merkwürdiges Kribbeln durchzog plötzlich ihren Körper. Obwohl sie wusste, dass es angebracht wäre, sich abzuwenden und so zu tun, als hätte sie nichts gesehen, konnte sie sich von dem Anblick nicht losreißen. Erst als sie bemerkte, dass sie auf ihrer Unterlippe herumkaute, kam sie wieder zu sich. Das war nicht das Benehmen, das man von einer wohlerzogenen jungen Dame erwartete!
    Als sie sich hinter den Wandschirm zurückzog, klopfte ihr das Herz bis zum Hals, und ihr Mund war auf einmal staubtrocken. Selbst mit Adele hatte sie nur sehr selten über Männer gesprochen. Meist hatte Lillian dieses Thema abgeblockt, denn sie war der festen Überzeugung gewesen, dass Frauen nur dann Höheres erreichen konnten, wenn sie sich von den Freuden eines normalen Frauenlebens abwandten. Doch nun fand sie sich hier, mitten in der Wildnis, in der Nähe eines Mannes, der sie entgegen all ihren Grundsätzen sehr interessierte. Und das Schlimmste war, dass Henare nicht nur ihr Interesse an seiner eigenen Person weckte; auch Jason Ravenfield kam ihr wieder in den Sinn, sein unverschämtes Lächeln bei der Teestunde der Carsons.
    Erst als ihr Großvater mit einem leisen Stöhnen erwachte, kam sie wieder zur Besinnung, und nun gelang es ihr, all die Gedanken an Henare und Ravenfield zu verdrängen.
    Während Caldwell, Ehrenfels und Lillian ihr Gepäck aus dem Gästehaus trugen, ging Henare zu den Pferden. Erleichterung überkam ihn. Man mochte es ihm vielleicht nicht angesehen haben, aber der Besuch hier hatte ihn ziemlich viel Kraft gekostet. All die Zeit, die er schon bei den Weißen lebte, hatte er versucht, die Orte seiner Kindheit zu vergessen, doch nun war er hierher zurückgekehrt, an genau diesen Ort, und hatte alles noch immer genauso vorgefunden, wie er es damals verlassen hatte. Das allein schon hatte ihm einen ziemlichen Stich versetzt. Und die Begegnungen mit den Menschen hatten ein Übriges

Weitere Kostenlose Bücher