Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
Vom Netzwerk:
verlassen?
    Dann musste sie wieder an das denken, was Henare zu ihrer kleinen Geschichte mit dem Kutscher gesagt hatte. Hatte sie wirklich das Zeug zu einer Medizinfrau?
    Über diesen Gedanken lächelnd, schüttelte Lillian den Kopf. Nein, wie sollte sie das! Wenn sie ihn richtig verstanden hatte, war ein Medizinmann mehr als nur ein Astronom. Er hatte viele andere wichtige Aufgaben, die sie niemals würde erfüllen können.
    »Können Sie auch nicht schlafen?«
    Einen Schrei unterdrückend, wirbelte Lillian herum. »Mr Arana!«
    »Verzeihen Sie bitte, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    Woher war er so plötzlich gekommen? Sie hatte nicht bemerkt, dass er die Hütte verlassen hatte. Und nun kam er aus der Richtung der anderen Behausungen. Was hatte er dort gemacht?
    »Nein, Sie haben mich nicht erschreckt. Ich … ich wollte mir nur ein wenig die Sterne ansehen. Immerhin wird unsere Sternwarte in der Nähe errichtet, wenn alles gut geht.«
    »Ein Stückchen weiter und höher ist es schon«, entgegnete Henare, während er sich neben sie stellte, so dicht, dass sie den Duft seines Haars und seiner Haut riechen konnte. »Allerdings wird es wohl doch näher an der Stadt sein als das Dorf selbst. Sie könnten innerhalb eines Tages dort sein, wenn Sie straff reiten.«
    »Das werde ich wohl noch üben müssen, von straffem Reiten kann bisher keine Rede sein.«
    »Sie werden sich dran gewöhnen, und mit der Zeit wird Ihnen das Tempo zu gering sein, da bin ich sicher. Eigentlich halten Sie sich schon sehr gut, ich habe schon Frauen vor Angst auf Pferden schlottern sehen.«
    »Angst habe ich vor der Stute nicht«, behauptete Lillian. »Höchstens davor, sie zu hart anzupacken.«
    »Das Tier wird Ihnen nichts übel nehmen. Ich kenne mich zwar nicht besonders gut mit diesem speziellen Pferd aus, aber es machte auf mich keinen unglücklichen Eindruck. Unberechenbare Kinder auf seinem Rücken tragen zu müssen, wird ihm sicher schwererfallen. Mr Caldwell hatte die Stute angeschafft, damit sein Sohn darauf reiten lernt.«
    »Genau das hatte ich mir gedacht, als ich sie zum ersten Mal sah.«
    Lillians Lächeln erstarrte, als sie bemerkte, wie Henare sie ansah. Ernsthaft und mit einer merkwürdigen Leidenschaft, wie sie sie noch nie bei einem Mann gesehen hatte. Ganz anders als die aufdringlichen, frechen Blicke dieses Ravenfield.
    Verwirrt trat sie einen Schritt zurück, worauf Henare den Blick wieder senkte.
    »Sie sollten besser reingehen und sich noch ein wenig hinlegen«, sagte er ruhig. »Wir haben einen langen Ritt vor uns.«
    Lillian räusperte sich. Warum nur fühlte sich ihr Hals an, als steckte ein dicker Kloß darin? »Natürlich.« Noch einmal blickte sie auf zum Kreuz des Südens, dann wandte sie sich um. »Gute Nacht, Mr Arana.«
    »Gute Nacht, Miss Ehrenfels.«
    Sie hatte gedacht, dass er ihr folgen würde, doch er blieb draußen vor der Hütte stehen. Als sie sich umwandte, hob er den Kopf gen Himmel.
    Habe ich ihn irgendwie verärgert?, fragte sie sich. Doch womit hätte sie das tun sollen? Obwohl sie sich keiner Schuld bewusst war, grübelte sie auf ihrem Nachtlager noch lange darüber nach – bis sie schließlich hörte, dass sich Henare ebenfalls zu seinem Schlafsack begab.

13
    Am nächsten Morgen wurde Lillian tatsächlich schon in aller Frühe geweckt. Allerdings nicht von Henare, Caldwell oder ihrem Großvater, sondern von exotischen Vogelrufen, die weithin über das Dorf hallten.
    Zunächst fühlte sich Lillian wie im Wald, doch dann fiel ihr wieder ein, dass sie sich im Gästehaus befanden. Die Männer jenseits des Vorhanges schienen die Rufe nicht zu stören; gemächlich schnarchten sie vor sich hin. Mit Lillians Nachtruhe war es allerdings vorbei. Sie erhob sich, wusch sich in einer kleinen Schüssel, die eine der Frauen neben ihr Lager gestellt hatte, und richtete dann ihre Kleider. Ein frischer Geruch von Blättern und Blüten wehte durch die Fenster der Behausung; von irgendwoher meinte Lillian Stimmen zu hören.
    Offenbar waren die ersten Dorfbewohner schon auf den Beinen. Als sie an das Fenster trat, entdeckte sie eine Gruppe Frauen, die mit Körben in Richtung Waldrand gingen. Waren sie wieder auf der Suche nach Muttonbirds? Oder suchten sie nur Früchte und hua whenua, wie die Maori ihre spezielle Art Gemüse nannten? Nur zu gern hätte sie das Lied verstanden, das sie anstimmten und das Lillian auch dann noch hörte, als sie die bunten Gewänder der Frauen zwischen den Bäumen schon nicht mehr

Weitere Kostenlose Bücher