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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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wieder ins Dorf zurückzukehren und sich die Vorwürfe des Heilers anzuhören, von dem er mittlerweile glaubte, dass er nie sterben würde.
    Nachdem er sich nur eine kurze Ruhepause gegönnt hatte, ritt er auch nach Einbruch der Dunkelheit weiter, bis er schließlich ein Geräusch hörte, das zu unecht klang, um der Ruf eines Vogels zu sein. Wenig später raschelte es, und die Wächter des marae zeigten, dass sie auch in der Dunkelheit gut auf ihren Stamm achtgaben. Zwei Männer traten blitzschnell aus der Dunkelheit; die Speerklingen glitzerten im Mondlicht. Henare zügelte sein Pferd.
    »Was suchst du hier?«, fragte Mani mit einem herausfordernden Funkeln in den Augen. »Ich denke, du wolltest mit den pakeha gehen.«
    Henare mochte vielleicht lange Zeit nicht hier gewesen sein, doch es gab gewisse Dinge, die sich nie änderten. Mani war sein Cousin, und wie kein anderer in ihrem Stamm dürstete er danach, endlich die Führung zu übernehmen. Auch wenn Frieden mit den Weißen geschlossen worden war, hatte er doch von jungen Jahren an die Überzeugung vertreten, dass die Weißen dorthin zurückgejagt werden müssten, woher sie gekommen waren.
    Henare teilte diese Überzeugung nicht; er war vielmehr dafür, dass beide Völker gleichberechtigt auf diesem Land leben sollten. Doch war das machbar? Weil er die Wirren der Politik nicht verstand und eigentlich auch möglichst wenig damit zu schaffen haben wollte, hatte er sich der Wissenschaft zugewandt. Schnell hatte er gemerkt, dass das Wissen, das seine Ahnen angehäuft hatten und von Generation zu Generation weitergaben, nicht alles war. Mittlerweile hatten die pakeha , die den Maori so ignorant erschienen waren, weil sie nur danach trachteten, Güter anzuhäufen, große Fortschritte gemacht, und in Henare war schon bald der Drang aufgekeimt, sich auch dieses Wissen zu eigen zu machen, teilzuhaben an den neuen Dingen, die unter den Händen der Weißen entstanden.
    »Ich will zu meinem Vater, Mani«, entgegnete Henare, ohne dem Blick seines Cousins auszuweichen. »Dieses Recht habe ich doch wohl, oder?«
    »Seltsam nur, dass du gerade jetzt von diesem Recht Gebrauch machen willst, nachdem du so lange nichts von dir hast hören lassen. Was willst du denn? Für die pakeha sprechen?«
    »Was ich mit meinem Vater zu besprechen habe, geht dich nichts an«, entgegnete Henare ungerührt. »Und jetzt lass mich vorbei.«
    Die beiden jungen Männer starrten einander an. Henare spürte, dass Mani sich überlegen fühlte. Immerhin hatte er eine Waffe in der Hand; außerdem war er ein guter Kämpfer. Doch auch Henare waren die Kampfkünste seiner Vorfahren noch bekannt.
    Schließlich huschte ein spöttisches Lächeln über das Gesicht seines Cousins. »Meinetwegen, geh nur. Aber erwarte nicht, dass der ariki über dein Kommen erfreut ist. Er war bei eurem Besuch nur höflich, nichts weiter. Du bedeutest ihm nichts mehr.«
    Henare schnalzte mit der Zunge, worauf sein Pferd voranpreschte.
    Als er das Dorf erreichte, dämmerte der Morgen herauf. Der Nebel in den Baumkronen verbarg die Vögel, deren Gesang ihn seit einiger Zeit begleitete. In Sichtweite der Hütten machte er halt.
    Es würde gewiss noch eine Weile dauern, bis sein Vater ihn empfangen konnte, besonders dann, wenn der Heiler mit seiner Behauptung recht hatte, was seine Krankheit anging.
    Er band sein Pferd also an einen der Bäume in der Nähe und lehnte sich an den knorrigen Stamm. Noch war niemand auf den Beinen, und noch schien auch niemand von ihm Notiz genommen zu haben, doch das würde sich bald ändern.
    »Du hast es dir also überlegt?«, fragte nach einigen Augenblicken eine Stimme hinter seinem Rücken.
    Schon als Kind hatte sich Henare gefragt, wie der tohunga es immer wieder bewerkstelligte, aufzutauchen, ohne dass man es mitbekam. Nun überraschte er ihn schon zum zweiten Mal.
    »Ich will mit meinem Vater sprechen.«
    »Über deine Rückkehr?« Der Heiler zog herausfordernd die Augenbrauen hoch.
    »Sei nicht kindisch, wir wissen beide, dass ich nicht zurückkehren werde. Aber ich will mit ihm sprechen.«
    »Nun, dann tu es. Aber wähle deine Worte gut. Dein Vater ist immer noch der Häuptling und genießt höchste Achtung. Die solltest du ihm auch entgegenbringen.«
    »Keine Sorge, ich habe meine Erziehung nicht vergessen.« Damit ließ Henare den Heiler stehen und strebte der Hütte im Zentrum des Dorfes zu, die einst sein Elternhaus gewesen war. Wie er an dem Rumoren hinter den Wänden hören konnte, war

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