Der Rote Mond Von Kaikoura
nur auf eine gute Gelegenheit, um die Verträge zu brechen!«
Henare hatte eigentlich nicht stehen bleiben wollen, doch nun tat er es doch. Langsam wandte er sich um und sah den Heiler eindringlich an. »Mein Vater würde nicht wollen, dass ich ihm nachfolge. Dass er mit den Weißen gesprochen hat, die mich begleiten, ist nur seiner Großzügigkeit zu verdanken.«
»Dein Vater wünscht sich, dass sein Sohn wieder zu seinem Stamm zurückkehrt.«
»Kein Krieger hier würde wollen, dass ich zurückkehre. Und ich werde es auch nicht tun. Mein Vater wird einen passenden Nachfolger bestimmen.« Damit drehte er sich wieder um. »Richte meinem Vater meine Grüße aus.«
Der alte Mann sah ihm finster nach, doch als Henare sich nach ihm umsah, war er verschwunden.
»Alles in Ordnung, mein Junge?«, fragte Caldwell, der das Gespräch ebenso wie Georg und Lillian mitbekommen, aber kein Wort verstanden hatte. Er sah Henare besorgt an.
»Ja, alles in Ordnung. Der Medizinmann wollte mir nur noch etwas mit auf den Weg geben.«
»Kennen Sie diesen Mann näher?«, fragte Lillian verwundert.
»Ja, ich bin hier aufgewachsen, bevor ich in die Stadt ging.«
»Sie … Sie stammen von hier?«
Henare nickte. »Ja, ich habe hier gelebt, bis ich dreizehn war. Dann musste ich fort.«
»Und warum? Sind Ihre Eltern gestorben?«
»Nein, es hatte andere Gründe. Gründe, über die ich nicht gern rede.« Henare verstummte und blickte dann auf seine Schuhspitzen.
»Sie brauchen uns gegenüber nicht ihr ganzes Herz auszuschütten«, sagte Georg und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Manchmal kann man nicht anders, als ein Geheimnis zu wahren.«
Lillian sah ihren Großvater erstaunt an. Er und sie hatten eigentlich keine Geheimnisse voreinander. Doch er sprach, als würde er sich mit dem Bewahren von Geheimnissen bestens auskennen.
Unsinn, schob Lillian diesen Gedanken zur Seite.
Ein paar Minuten später brachen sie auf. Diesmal ritten sie eine andere Route, wie Lillian an den höheren Farnen und den verkrüppelten Baumstämmen erkannte. Lianen hingen wie Schleier von den Ästen, auch schien die Luft hier wesentlich kühler zu sein.
Nach einer Weile machten sie halt. »Sehen Sie die Anhöhe dort hinten?«, fragte Henare und deutete über den Kopf seines Pferdes hinweg auf den bewaldeten Hügel.
Georg und Caldwell nickten.
»Dort hinten wird Ihre Sternwarte stehen. Eines Tages.«
»Können wir hinreiten?«
»Noch nicht«, entgegnete Henare. »Wir müssten dazu heiligen Grund der Maoris betreten, und dazu haben wir noch nicht die Erlaubnis.«
Während er fasziniert nach vorn blickte, stieg Georg aus dem Sattel und schritt bis zum nächsten Baum. Lillian erkannte, dass er wieder so dreinschaute wie damals, als sie von Bord gegangen waren. Er stellte sich die Sternwarte auf dem Hügel vor.
Sie stieg nun ebenfalls vom Pferd und trat neben ihn. »Sie wird wunderschön werden«, flüsterte sie ihm zu und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Die Kuppel wird über die Bäume hinwegschauen auf den freien Himmel.«
»Das wird sie.«
»Und das, was du herausfindest, wird durch alle Welt gehen. Bis nach Deutschland. Niemand wird mehr gering von dir denken oder dich unterschätzen.«
»Und ich werde mein Versprechen halten«, setzte Georg hinzu.
»Ein wirklich schöner Platz für die Sternwarte!«, sagte Caldwell hinter ihnen. »Wir können nur hoffen, dass sich der Häuptling richtig entscheidet.«
»Das wird er«, sagte Henare; dann nickte er Lillian und Georg zu. »Ich bin sicher, dass die nächsten Verhandlungen ein besseres Ergebnis haben werden. Vielleicht erhalten wir sogar vor der Zeit Bescheid. Wahrscheinlich muss er sich nur noch einmal mit seinen Ältesten besprechen.«
14
Nicht ganz zwei Tage später erreichten sie wieder Kaikoura. Außer der Nachtruhe hatten sie keine weiteren Pausen gemacht, was ihrem Tempo sehr zugutegekommen war. Dafür fühlte sich Lillian wie erschlagen, als sie aus dem Sattel stieg.
Henare lächelte sie an. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass Sie sich fühlen werden, als wären Sie ein Teil des Pferdes?«
»Das haben Sie gesagt, aber ich habe nicht geglaubt, dass ich mich fühlen würde, als sei ich auf dem Tier festgewachsen.«
Henare lachte auf. »Ihren Humor haben Sie nicht verloren, das ist gut. Ich bin sicher, dass Sie beim nächsten Mal schon viel mehr Spaß haben werden.«
Lillian lächelte versonnen. Der Gedanke, in das Maoridorf zurückzukehren, gefiel ihr. Wer konnte schon
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