Der Rote Mond Von Kaikoura
zufrieden war, legte seine Hände versöhnlich auf ihre Schultern. »Keine Sorge, ich will auf deine Arbeit nicht verzichten. Aber schau, ein Lager voller Männer ist doch nichts für eine junge Frau. Später, wenn du dein Zimmer in der Sternwarte hast, wird vieles leichter, dann werden wir sogar dorthin umziehen. Doch jetzt brauche ich dich hier, und obendrein solltest du die Zeit nutzen, um dich ein wenig zu amüsieren. Nachher wirst du nicht mehr viel Zeit dazu haben.«
Sein gewinnendes Lächeln konnte sie nur erwidern. Vielleicht hatte er ja recht.
»Ich werde dich regelmäßig besuchen«, beharrte sie, während sie ihn umarmte.
»Such dir aber einen Begleiter, damit du nicht allein reiten musst«, gab Georg zu bedenken.
»Ich könnte mich von Mr Ravenfield begleiten lassen!«, entgegnete Lillian verschmitzt. »Aber ich glaube, ich wäre eine schlechte Enkelin eines Seemanns, wenn ich den Weg nicht finden würde.«
Am nächsten Morgen brachen sie in aller Frühe auf. Die Stadt lag noch in tiefem Schlummer, der erste Silberstreif am Horizont war noch fern. Hundegebell folgte den beiden Reitern zum Stadtrand. Als sie an Carsons Warenhaus vorbeikamen, blickte Lillian zu den Fenstern von Samanthas Zimmer auf. Adele hätte ich wahrscheinlich eine Nachricht zukommen lassen, ging es Lillian durch den Kopf. Doch Samantha war nicht der Typ, der über jeden Schritt der Freundin informiert werden wollte. Wenn sie sich wieder zum Tee oder in der Stadt trafen, würde sie ihr von der Baustelle berichten.
Als sie Kaikoura hinter sich ließen, erschien am Himmel ein glühender Feuerstreif, der wie ein Wegweiser wirkte. Eine seltsame Erregung überkam Lillian. Nicht so sehr wegen der Baustelle und der Tatsache, dass der Bau der Sternwarte nun endlich vorangehen konnte. Nein, sie freute sich auch, wieder in die Nähe der Maori zu kommen. Ein Abstecher ins Dorf würde sicher nicht möglich sein, aber die Maori würden da sein, weil sie als Wächter darauf achteten, dass sich niemand ungesehen dem marae näherte. Vielleicht würden sie ja einem der wilden Krieger begegnen?
Während sie gen Westen ritten, versuchte Lillian, sich besonders markante Landmarken einzuprägen – für den Fall, dass sie einmal allein zur Baustelle reiten musste. Der Weg an sich schien nicht besonders schwierig zu sein. Die schwer beladenen Wagen hatten eine regelrechte Schneise in den Busch geschlagen. Auch wenn sie sich bemüht hatten, auf dem vorgegebenen Weg zu bleiben, hatten sie doch hier und da Farnwedel abgerissen und Äste abgeknickt, sodass man genau sagen konnte, dass sie hier entlanggekommen waren.
Nach etwa einem halben Tag vernahmen sie Stimmen, die laut durch den Busch hallten. Beim Näherkommen sahen sie, dass die Arbeiter gerade dabei waren, das Holz und die anderen Baumaterialien so zu ordnen, dass sie der Reihe nach verbaut werden konnte. Teile für das Fundament kamen nach vorn, während Teile für den Turm und die Kuppel weiter hinten gestapelt wurden. Das war Caldwells Idee gewesen, der sich neben allem anderen auch den Kopf darüber zerbrochen hatte, wie die Sternwarte am schnellsten errichtet werden konnte.
Erfreut und fast sprachlos ließ Georg seinen Blick über die Baustelle schweifen. All die Jahre voller Enttäuschungen und Misserfolge zogen an seinem inneren Auge vorbei, doch das verbitterte ihn nun nicht mehr. In ein paar Monaten würde die Sternwarte stehen, und dann würde er nicht nur sein Versprechen halten, er würde auch endlich sein Ziel erreichen und vielleicht noch ein paar Jahre sein Werk genießen können.
18
Liebste Adele,
auch wenn noch immer kein Brief von Dir eingetroffen ist, muss ich Dir unbedingt schreiben, denn in den vergangenen Wochen hat sich so einiges ereignet. Auf der Baustelle geht es gut voran, Großvater wirkt um viele Jahre verjüngt, da er voll in seiner Aufgabe aufgeht. Mittlerweile ist das Fundament der Sternwarte errichtet, und die Arbeiter ziehen nun die ersten Wände hoch. Wie gern wäre ich dort, um alles mit eigenen Augen anzusehen, doch Großvater erlaubt es mir nicht. Sicher wunderst Du Dich darüber, denn eigentlich hat er mir in Köln kaum etwas verboten. Aber diesmal ist es etwas anderes. Natürlich schiebt er vor, dass ich auf unser Haus in Kaikoura aufpassen müsse und verletzt werden könnte. Aber eigentlich ist seine Bitte, so lange nicht zur Baustelle zu kommen, bis er es mir erlaubt, unsinnig, denn wann hätte ich mich schon je durch grobe Nachlässigkeit
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