Der Rote Mond Von Kaikoura
einfinden, weil ihre Teestube ziemlich klein ist.«
»Und was ist an dieser Behauptung dran?«
»Nun, man muss schon sagen, dass Mrs Blake sehr guten Kuchen und hervorragende Sandwiches hat. Aber in ihrer Teestube sitzt man wie auf dem Präsentierteller und wird von draußen von ungeduldigen Wartenden beäugt. Hier können wir so lange beisammensitzen, wie wir wollen.«
Nachdem er Tee und Sandwiches geordert hatte, lehnte sich Jason zurück und musterte Lillian auf eine Weise, die ihr das Blut in die Wangen trieb.
»Nun, haben Sie schon wieder von Ihrem Großvater gehört?«, beendete er schließlich sein Starren. »Er scheint ja wirklich ganz und gar Feuer und Flamme für sein Projekt zu sein.«
»Das ist er in der Tat; er wirkt um viele Jahre verjüngt, wenn es um seine Sternwarte geht. Ich selbst kann es auch kaum abwarten, die Sterne vom Observatorium aus zu betrachten. Wir haben ein paar sehr schöne Teleskope, mit denen man sogar die Ringe des Mars und die Monde des Jupiter sehen kann. Großvater schickt mir regelmäßig Nachrichten über den Fortgang auf der Baustelle, und was er vergisst aufzuschreiben, erzählt mir Mr Arana.«
»Ja, das scheint ein guter Mann zu sein«, entgegnete Jason. »Soweit man hört, hat er den Häuptling überredet, sein Einverständnis zu dem Landtausch zu geben.«
»Er war uns beim Besuch der Maori eine große Hilfe.«
»Sie waren also dabei?«, wunderte sich Ravenfield.
»Ja, ich hatte meinen Großvater gebeten, mich mitzunehmen. Es waren die aufregendsten Tage, die ich bislang erlebt habe. Die Maori sind faszinierende Menschen, und ich kann es kaum erwarten, wieder auf sie zu treffen.«
Ravenfield blickte ein wenig verwundert drein, doch bevor er etwas sagen konnte, erschien der Kellner mit Tee, Sandwiches und Scones.
Der Duft des Tees erinnerte Lillian an die Besuche bei Adele. Auch dort hatten sie Tee getrunken, den Adeles Vater mit dem Schiff eigens aus Indien hatte bringen lassen. Der Tee vor ihr stand diesem in nichts nach; klar und rotbraun wie ein Granat schimmerte er in der zarten Porzellantasse.
Auch die Scones waren hervorragend. Konnte der Nachmittag noch besser werden? Über ihre Schwärmerei für Tee und Scones hätte sie beinahe übersehen, dass Ravenfield sie ständig und eindringlich musterte.
Lillian wusste nicht, welcher Teufel sie plötzlich ritt, als sie sich selbst fragen hörte: »Was halten Sie eigentlich davon, dass Frauen danach streben, in der Wissenschaft zu arbeiten?«
Ravenfield zog die Stirn kraus, dann setzte er die Tasse ab. »Was meinen Sie damit?«
»Nun, soweit man hört, gibt es immer mehr Frauen, die ein Studium anstreben und sogar beginnen. Es gibt sogar Wissenschaftlerinnen, die Sternkarten verbessert und ein System zur Einordnung der Sterne nach Größe und ihren Spektralfarben entwickelt haben.«
Ravenfield atmete tief durch und schwieg dann eine Weile nachdenklich, was in Lillian ein ungutes Gefühl hervorrief. »Eigentlich bin ich der Meinung, dass Frauen den Männern ruhig die Männerarbeit überlassen sollten. Wissenschaft ist nichts für zarte Gemüter.«
Diese Worte entfachten Lillians Kampfgeist, wie immer, wenn jemand die Eignung von Frauen auf männlich beherrschten Gebieten in Zweifel zog.
»Warum sollte Wissenschaft nichts für Frauen sein?«, erkundigte sie sich dennoch freundlich, denn vielleicht hatte Ravenfield seine Bemerkung nicht so gemeint.
»Nun, wie jedermann weiß, ist der Verstand einer Frau eher dazu ausgelegt, eine Familie zu versorgen und zusammenzuhalten. Alles andere wäre wider die Natur und gegen Gottes Plan.«
Lillian meinte, nicht richtig gehört zu haben.
»Und was sagen Sie dann zu Frauen wie Christine Ladd-Franklyn? Oder Williamina Fleming?«
Sie konnte ihm ansehen, dass er mit diesen Namen nichts anfangen konnte, also setzte sie hinzu: »Mrs Ladd-Franklyn hat Aufsätze über Mathematik veröffentlicht, Miss Fleming hat sogar eine Möglichkeit zur Katalogisierung von Sternen ersonnen!«
Ravenfield schien das nicht besonders zu beeindrucken. »Natürlich gibt es Ausnahmen. Einige Frauen mögen vielleicht männliche Eigenschaften haben, aber für die breite Masse gilt das nicht. Sie sind beispielsweise eine Frau, an der ich nichts Männliches finden kann.«
»Eine Frau muss doch keine männlichen Züge haben, um wissenschaftlich arbeiten zu können!«, hielt sie dagegen. »Auch in früheren Zeiten gab es Frauen, die weiblich, aber gleichzeitig intelligent waren.«
»Und dennoch ist
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