Der Rote Mond Von Kaikoura
ausgezeichnet? Im Gegenteil, ich war meistens diejenige, die ihn auf der Straße vor vorbeirasenden Kutschen bewahren musste, weil er wieder einmal mit seinem Kopf ganz woanders war.
Wie dem auch sei, ich habe auch ganz andere Nachrichten. Stell Dir vor, habe erst vor Kurzem Blumen von Mr Ravenfield erhalten. Mrs Peters, die zufällig am Zaun stand, als sie geliefert wurden, staunte nicht schlecht über das herrliche Bouquet aus Rosen und einigen Wildblumen, deren Namen ich nicht kenne, die aber wunderbar miteinander harmonierten.
Mir war das natürlich im ersten Moment etwas peinlich, aber insgeheim freute ich mich darüber. Der erste Mann, der sich für mich interessiert, stell Dir vor! Hättest Du das für möglich gehalten? Nun, viel lieber wäre ich natürlich in der Sternwarte, aber vielleicht kann dieser Mr Ravenfield meine Ungeduld ein wenig vertreiben. Er scheint jedenfalls ein sehr netter Mann zu sein.
Wie ist es denn mit Dir, stehen die Bewerber schon Schlange vor Eurem Haus? Beim letzten Mal, als ich bei Euch war, hatte Deine Mutter ja gar nichts anderes im Sinn als Dein Debüt und die Wahl Deines Begleiters.
Schreib mir bitte, sobald Du den Brief bekommst, ja?
Mit innigsten Grüßen,
Deine Lillian
Fast zwei Wochen befand sich Georg nun schon auf der Baustelle. Hin und wieder schickte er Henare vorbei, um Lillian mitzuteilen, dass alles in Ordnung sei. Aber mit jedem Tag, an dem er nicht zurückkehrte, wuchs Lillians Ungeduld. Ihr Großvater hatte sie zwar angewiesen, sich noch nicht auf der Baustelle blicken zu lassen, doch der Wunsch, die entstehende Sternwarte mit eigenen Augen zu sehen, wurde immer größer.
Bevor sie allerdings auf dumme Gedanken kommen konnte, erhielt sie von Jason Ravenfield eine Einladung zum Tee in einem der feinsten Restaurants der Stadt.
Da ihr Großvater nicht anwesend war, entschied sie eigenmächtig, sich mit Ravenfield zu treffen. Was war schon dabei, wenn sie sich zwanglos gegenübersaßen, Kuchen aßen und Tee tranken?
Da das Ballkleid ihr für diesen Anlass zu fein erschien, entschied sie sich für das bessere ihrer beiden Reisekleider. Mit klopfendem Herzen stand sie vor dem Spiegel und schalt sich selbst. Offenbar reichte schon eine simple Einladung zum Tee aus, sie in Aufregung zu versetzen.
Als es an die Tür klopfte, wirbelte Lillian herum. Das ist er, schoss es ihr durch den Sinn. Noch einmal atmete sie tief durch und legte ihre Hand auf den Bauch, um das Flattern in ihrer Magengrube beruhigen. Als dies nichts half, gab sie sich einen Ruck und ging zur Tür.
Ravenfield, der einen eleganten braunen Nachmittagsanzug trug, strahlte sie an. »Ich hoffe, ich bin nicht zu früh dran.«
»Keineswegs«, entgegnete Lillian. »Ich bin gerade fertig geworden.«
Ravenfield musterte sie von Kopf bis Fuß. »Sie sehen wunderhübsch aus, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
Lillian lächelte verlegen. Früher hätte sie einen Mann, der ihr für ein einfaches Reisekleid schmeichelte, gefragt, ob er sie auf den Arm nehmen wollte. Aber auch wenn sie übertrieben waren, fühlten sich Ravenfields Komplimente gut an, einsam wie sie war.
»Ich danke Ihnen«, sagte sie also und hakte sich dann an seinem angebotenen Arm ein.
Lillians Erwartung, dass er sie mit einer Kutsche abholen würde, erfüllte sich nicht. Dafür schien er es sichtlich zu genießen, dass die Leute verwundert dreinschauten, als sie an ihnen vorübergingen. Einige renkten sich beinahe den Hals aus, um ihnen nachzuschauen, stellte Lillian amüsiert fest, und insgeheim wünschte sie sich, dass Rosie sie so sehen könnte.
Das Entree des Kaikoura-Hotels, das sich mitten in der Stadt befand, verströmte eine etwas altertümliche englische Eleganz, die Lillian aber durchaus gefiel. Nachdem er dem Portier kurz zugenickt hatte, führte Jason sie in den Speisesaal, aus dem ihnen der wunderbare Duft frisch gebackenen Kuchens entgegenströmte.
Die Tische waren recht gut gefüllt. Außer den Reisenden, die sich ein wenig vom Vormittag erholen wollten, hatten sich auch zahlreiche Bürger der Stadt hier eingefunden.
»Das Hotel scheint sich großer Beliebtheit zu erfreuen«, bemerkte Lillian, als sie an einem Tisch zwischen exotischen Pflanzen Platz nahmen, die wie ein natürlicher Sichtschutz wirkten.
»Das tut es in der Tat. Die Teestunde hier ist geradezu legendär. Nur die Teestube von Mrs Blake ist eine ernsthafte Konkurrenz; böse Zungen behaupten, dass sich nur deshalb so viele Gäste hier
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