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Der rote Norden - Roman

Der rote Norden - Roman

Titel: Der rote Norden - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franzisika Haeny
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Filme an. Martin ist nicht bei mir. Er hat, nachdem er die Eintrittskarten bezahlt hat, gemurmelt, dass es in diesem Museum vernünftigen Espresso gebe. Er sitzt jetzt wohl im Museumsrestaurant. Offenbar hat es in diesem Museum ohne Besucher auch ein Restaurant oder mindestens einen Ort, an dem man Kaffee trinken kann. Er kennt das Museum, für mich ist es neu.
    Am Ende der Gang-Spirale ist eine Türe erkennbar. Ich öffne sie. Ich höre Musik. Ein erstaunlich grosser Saal, finster, von wenigen Spots erhellt, ganz leer, mit vielen Stühlen, die auf eine Leinwand gerichtet sind. Da läuft ein Film. Ich setze mich auf einen der Stühle; auf der Leinwand sind bewegte psychedelische Bilder zu sehen: riesige grüne Wirbel, welche von gewaltigen purpurroten Flammen abgelöst werden, die sich fortwährend bewegen; es folgt ein pastellblauer, gleissender Kreis, der hellblaue und violette Strahlen von sich wirft, dann olivfarbene schlierenartige Schleier, die sich über die ganze Leinwand bewegen. Und so geht es weiter. Es ist schön, wirklich schön, ohne Musik würde mir das allerdings noch besser gefallen. Es ist die Art von Musik, von der meine Tochter, als sie ein Kind war, gesagt hat, dass sie Fäden zieht. Wie flüssiger Käse. Die Bilder sind wundervoll, ich finde jedoch keinen Zusammenhang zum Inhalt der pädagogischen Glasvitrinen, die sich ausserhalb der Türe befinden, über der ein flammend rotes EXIT leuchtet. Vielleicht wird mir der Zusammenhang später einfallen, es muss einen geben. Nach ein paar Minuten stehe ich auf, verlasse den Raum und gehe den gewundenen Weg mit den hellen Schaufenstern zurück, ich merke erst jetzt, dass dieser Weg leicht ansteigt. Abgesehen von den rotblättrigen Birken und den Rentieren, habe ich das, was die Schaukästen zeigen, nie wahrgenommen, und doch gibt es das alles. Und wo sind diese zuckenden, drehenden, fliessenden Farben?
    Und was will Martin im Roten Norden? Wohin geht unsere Reise?
    Martin sitzt an einem kleinen Tisch vor einer kleinen braunen Tasse. Der Raum ist leer, erstaunlicherweise sind Fenster vorhanden, die Licht geben. Es stehen Tische da und Stühle, aber ausser Martin ist niemand da. Er sieht mich, nickt, geht an die Theke, und nun erscheint eine uniformierte Dame, die – offenbar auf seinen Wunsch – auf einen Knopf einer gewaltigen, verchromten Kaffeemaschine drückt. Ich habe mich an seinen Tisch gesetzt und warte, er kommt mit einem Tässchen in der Hand für mich zurück.
    Ich sehe in seine Augen. Seine Augen verraten, dass er Angst hat. Ich kenne Martin so lange; der Ausdruck seiner Augen – die tief in den Höhlen liegen – ist anders als früher. Er lächelt. Er sagt: »Hat es dir gefallen?«
    »Ja«, sage ich. Ich nehme die kleine braune Tasse hoch. Der Kaffee duftet, und Martin schaut mich an, und so sage ich nochmals: »Ja«.
    »Und das Nordlicht?«, fragt er. Das war also das Nordlicht. Und ich habe es nicht kapiert.
    Ich versichere ihm, dass das Nordlicht wunderschön und eindrücklich gewesen sei. »Hast du das Nordlicht schon einmal gesehen?«, frage ich und füge, um eindeutig zu sein, hinzu: »in … in Wirklichkeit, meine ich.«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Aber du bist doch schon einmal hier gewesen?« frage ich. Ich weiss, dass ich mich damit auf ein Terrain begebe, auf dem ich nichts zu suchen habe. Er zieht die Augenbrauen zusammen und meint, dass er natürlich schon hier gewesen sei, dass er sogar schon zweimal hier gewesen sei.
    »Du bist jetzt zum dritten Mal im Roten Norden?«, frage ich.
    Martin sagt »ja«. Er schaut stur auf mein Tässchen, das nun leer ist. Mir gefällt sein Gesichtsausdruck nicht, es ist jedoch bestimmt nicht hilfreich, wenn ich weitere Fragen stelle; darum sage ich: »Komm, wir gehen!« und stehe auf. Ich bringe beide Tässchen zur verlassenen Theke und folge ihm dann. Er steht bereits beim Auto, als ich aus dem Museum komme. Er fragt mich, ob ich fahren möchte, aber es ist besser, wenn er fährt, dann denkt er an die Strasse und nicht an … Ich weiss nicht, woran er denkt, doch es ist nichts Gutes.
    Er hält noch an der Tankstelle, tankt und fährt weiter. Wir fahren auf einer breiten Strasse zwischen roten Bäumen hindurch. Der Himmel ist dunkelblau. Ganz selten kommt uns auf der Gegenfahrbahn ein Auto entgegen. Ich bin es nicht gewohnt, dass die Welt um mich farbig ist; da, wo ich herkomme, ist sie grau.
    Wohin fahren wir? Martin kennt das Ziel. Ich schliesse die Augen und unerwartet, ganz unerwartet,

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