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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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zwei Briefen zuvor schon. Wenn man also mit dieser Handschriftenprobe bei mir vorsprach, dann …
    »Wie gut kannten Sie Fräulein de Pouquet?«
    »Was ist mit ihr?«
    »Waren Sie schon länger befreundet?«
    »Hat Sie etwas ausgefressen?«
    »Sie müssen meine Fragen beantworten, Frau de Lalande!
    Nicht ich die Ihrigen …«
    Das sah ich ganz anders.
    »Erst will ich wissen, warum Sie mir diesen Brief zeigen und mir private Fragen stellen.«
    Ich kochte innerlich. Zugleich hörte ich Jérôme leise lachen.
    »Können Sie ermessen, Herr Präfekt, was es heißt, mit dieser Frau verheiratet zu sein?«
    Manchmal hasste ich Jérôme, auch wenn es sicher nur Taktik war, die ihn dreist mit dem Fragenden paktieren ließ.
    Georg Distel erklärte daraufhin:
    »Ich werde Ihnen schon nichts verschweigen, gute Frau. Die Adressatin dieses Briefes, ihre Briefpartnerin … Sie müssen mit uns kommen, in die Anatomie … sie zu identifizieren.«
    Ich hielt mich kurz mit der unverschämten Wendung von der
guten Frau
auf, die der
braven Bürgerin
in nichts an Perfidie nachstand. Dann aber begann der wichtigere Gehalt der Mitteilung bei mir anzukommen, und alles drehte sich.
    »Sie meinen, Anne de Pouquet ist tot?«
    Der Polizeichef nickte.
    * Tom Wolf: Goldblond. Verheerende Torheit

2
    Jérôme hätte es niemals zugelassen, dass mich fünf preußische Polizisten allein in die Stankhöhle des Grauens entführten, wo sich der Geruch von echten Pferden mit dem Tabakschmauch von menschlichen Eseln und Riesenrössern mischte. Daher war er an meiner Seite, als wir schweigend über den Markt der Gens d’Armes liefen, den man jetzt allseits eindeutschend Gendarmenmarkt nannte. Distel machte keine Anstalten, mir vorderhand mehr zu sagen. Der Polizistenkordon hatte sich aufgespalten: Zweie gingen vorweg, zwei folgten uns. Es musste so aussehen, als würden Schwerverbrecher abgeführt.
    Auch im Marderüberwurf fror ich wie eine Schneiderin, als wir den Lindencorso überquerten und uns anschickten, den Großen Stall zu betreten. Durch zwei verschneite Höfe gelangten wir in den hinteren, akademischen Gebäudeteil, wo die kahlen Astfinger einer riesigen Blutbuche im klirrenden Windhauch schwankten. Ihre dünnen Spitzen kratzten an den bleiernen Dachrinnen, Eiskristalle wurden auf uns herabgeweht.
    Als ich die Räume unterm Anatomischen Lehrsaal betrat, die Eimer, Wannen, Bäche, Flüsse, Ströme und Seen, ja Meere und Sintfluten von Blut gesehen hatten, erkannte ich nicht nur diesen Ort wieder, sondern auch den Mann, der dort noch immer sein Unwesen trieb: Theden, den Ersten Generalchirurg und Pathologus der Königlichen Charité. Dieser schlanke, aber nicht dürre baumlange Mann begrüßtemich mit dem breiten wesenlosen Lächeln, für das er berühmt war, da es nie aus seinem Gesicht wich:
    »Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Madame! Die Memoiren Ihres verewigten Urgroßvaters stehen als Bibel des guten Geschmacks und des Esprits inmitten all der geringen Bücher meiner kleinen Studienbibliothek. Stets erbaue ich mich aufs Neue an seinem Witz, denn wie haben die Moden und die Zeiten sich verschlechtert! Ich sehe auch mit Bedauern, dass Sie inzwischen die männliche Mode nicht mehr so hoch schätzen wie einst … Ein Jammer! Ist das das Ergebnis der Revolution? Dass Revolutionärinnen Röcke tragen?«
    Er spielte auf die Tatsache an, dass ich schon früher gerne Hosen getragen hatte, was meine Zweifel an der Wahrhaftigkeit seines Wiedererkennens vollends auslöschte.
    »Mein Herr, Sie irren«, konterte ich. »Jetzt bin ich
Sansculotte
– auf weibliche Art. Ich darf Ihnen gestehen, dass mir mein vormaliger Besuch in Ihrem Studio auch nicht aus dem Kopf ging. Ich habe nie die damit verbundenen Bilder vergessen können, obwohl ich in Paris, wo mein Gatte und ich einige Jahre weilten, weit garstigere zu sehen bekam.« Ich schwieg beklommen, während ich die schmutzigen Laken ringsum betrachtete, unter denen sich auf ewig unbewegliche und bald schon zerfallende menschliche Körper schemenhaft abzeichneten.
    »Bringen wir es hinter uns!«, befahl Distel. »Bitte nur das obere Stück.«
    Der Meister des dunklen Orts nickte lächelnd und führte uns zu drei gemauerten Tischen. Mit einem Schwung, der mich schon früher entgeistert hatte, da er seinem ehrwürdigen Amt nicht recht zu Gesicht stand, enthüllte mir der Lächler das Antlitz einer Dämonin: das Gesicht gedunsen, die Pupillen schreckhaft geweitet, die Augäpfel grausig nach links unten

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