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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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verdreht, wodurch Stauungsblutungensichtbar wurden, die auf dem vormals perlmuttweißen, jetzt cremefarbenen Grund wie braune Faulstellen wirkten. Der Mund war nicht offen, trotzdem hing die Zunge heraus. Sie schien nur an einem kleinen Ende zu baumeln – abgebissen im Erstickenskrampf. Eine rote Linie lief um den Hals, sehr dünn, was auf eine filigrane feste Schnur als Strangulationswerkzeug hindeutete.
    »Anne de Pouquet!«, entfuhr es mir, und ich hielt mich heftig aufschluchzend an Jérôme.
    Ich hatte sie im Schatten der Guillotine kennengelernt, auf der gerade ein Comte den Tod fand. Ratsch, klack – aus. Ich musste die Ärmste trösten, denn es ging ihr aus unerfindlichen Gründen sehr nah. Wer der Geköpfte war, erfuhr ich erst viel später, und auch so viel anderes, was mich damals vielleicht hätte mehr interessieren sollen …
    Ich habe das Geschriebene noch einmal überlesen, um mich wieder darauf einzustimmen, und kann nun fortfahren:
    … Der neben Anne de Pouquet liegende Mann war groß, nicht eben kräftig und hatte ein schmales Gesicht. Ich erkannte ihn sofort, trotz der Grimasse. Es war der ehemalige Konvents-Abgeordnete Gaston Armand Comte de Mâconnais-Rambouillon, ursprünglich ein Brissotin-Anhänger, ein Gefolgsmann des aus der Gironde stammenden gemäßigten Republikaners Jaques Pierre Brissot. Über Nacht war er zum Royalisten geworden, als er von der Schändung der Grablege der Artois und Bourbonen gehört hatte. Er ergriff Partei fürden Duc de Roux, der für die innige Verknüpfung von Kirche und Königtum eintrat und eine obskure Gemeinde von royalistischen Glaubensfanatikern anführte, über die ich aber nichts Genaues wusste. Die blutrünstigen Jakobiner hatten de Roux als prominentesten Gegner der Kultfreiheit an den Pranger gestellt und hinrichten lassen. Durch seine Parteinahme für den Duc wurde auch Mâconnais-Rambouillon zum Gejagten. Den Häschern in Paris war er nur knapp entkommen. Jetzt lag er tot im Berliner Exil.
    Ich schätzte ihn auf Anfang sechzig, wohingegen der kleine, dickliche Mann an seiner Seite, den ich wohl vom Sehen, aber nicht namentlich kannte, etwas jünger aussah. Fünfzig vielleicht? Er zeigte die gleichen Verzerrungen im Gesicht; insgesamt machte er den Eindruck eines Handwerkers, der sein Leben in einer behaglichen Klause verbracht und gezwungenermaßen einmal den Fuß ins feindliche Leben vor der Haustür gesetzt hatte. Sein Gesicht war das eines erwachsenen Kindes. An seiner linken Schulter, die bei Thedens forscher Enthüllung freigelegt worden war, zeigte sich eine Harfe. Keine richtige, versteht sich … sondern eine Zeichnung am Körper, die zuerst Forster bei den polynesischen Indianern beschrieben hat. Bei Seeleuten wurde diese Körperverzierung seither charakteristische Mode und ist der deutschen Sprache als
Tatauierung
einverleibt. Täuschte ich mich so in dem kleinen vermeintlichen Heimarbeiter? Ein Tatau? War er vielleicht sogar Kapitän eines Piratenschiffes gewesen?
    Ich verspürte erneut das eigentümliche Kribbeln – wie damals, als ich den grausig gezeichneten Überresten des Ersten Hofküchenmeisters des großen Königs gegenüberstand.” * Es war etwas Anklagendes in der Schutzlosigkeit und Blässe der Toten, das mich berührte und aufwühlte. Sie nahmen uns in die Pflicht, die Schlinge des Gesetzes um die Hälse ihrer Mörder zu legen. Das war die gerechte Forderung der ums Leben Betrogenen! Das war ihre Ansprache, die ich hörte, dort in der akademischen Gruft.
    »Kennen Sie die beiden?«, fragte Distel, und ich nannte ihmden Namen des Abgeordneten. Den anderen, den kleinen Dicklichen, kannte mein Mann.
    »Er war einer der bevorzugten Goldschmiede der Königin. Sein Name lautete Alphonse Dampmartin«, erklärte Jérôme. »Er stammte aus meiner Heimat, ein Schüler von Francois Callot in Rouen. Als Lehrling war er einmal zu Gast im Schloss meiner Eltern, es muss 1765 gewesen sein.«
    »Alphonse Dampmartin, ganz recht!«, sagte Distel. »Wieso kennen Sie ihn, wenn Sie ihn zuletzt vor so vielen Jahren sahen? Sie waren ein Knabe und er ein Lehrling.«
    Ich fühlte, wie sich etwas in mir zusammenzog. Nicht nur das von der Revolution aufgemischte, verrückte Frankreich – auch das alte, vorrevolutionäre des Ancien Régime schien hier in der Stadt ein geisterhaftes Nachleben zu führen.
    »Man sah sie im Paris der Revolution sehr häufig. Sie standen auf der Warteliste der zu Köpfenden ganz oben. Mâconnais-Rambouillon hat Louis

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