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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Capet noch bis zuletzt verteidigt, und Dampmartin hat sich mit gleicher Vehemenz für die Königin stark gemacht. Er sprach sogar einmal vor dem Konvent, im Namen vieler Handwerker, die für Versailles gearbeitet hatten. Halb Frankreich schreinerte, zimmerte, punzierte, gravierte, fertigte Perücken, Schuhe, Kleider, Hüte und Kutschen für den Hof. Das Ende der Monarchie war auch das Ende der Zulieferer und Bediensteten: der Royalisten von Berufs wegen, wenn man so sagen will … Die meisten sind abgewandert. Viele kamen hierher.«
    »Louis Capet?«, fragte Distel irritiert. »Wie hätten Sie gestimmt?«
    Es war erschreckend, der Mensch wusste offenbar gar nichts über die Revolution! Er kannte nicht einmal den Namen, mit dem man den König benannte, weil die Dynastie,der er entsprungen war, nach Hugo Capet, dem Stammvater, Kapetinger hieß. Hatte Distel überhaupt eine Ahnung davon, dass es verschiedene revolutionäre Clubs gab, die sich bekriegten bis aufs Blut? Dass alle Beteiligten diese Fehde mit rabiater Vehemenz führten, auch wenn sie das Gleiche wollten: eine freie, große Nation? Jérôme schwieg hilflos angesichts dieser Ahnungslosigkeit, daher sagte ich: »Mein Herr – wären wir hier, wenn wir weiter Revolution auf diese Art machen wollten? Das Verbrechen am einstigen König ist abscheulich. Wir verurteilen es zutiefst. Konstitutionelle Monarchie wäre vielleicht die Lösung gewesen, doch die Revolution ist aus dem Ruder gelaufen. Das Gemetzel unter Mitbürgern, das der Chef der Nationalgarde, Marquis de Lafayette, auf dem Marsfeld veranstaltete, hat diese Einschätzung vorbereitet. Wenn eine frei gewählte Regierung sich nur noch Respekt verschafft, indem sie alle Bürger mit dem Tod bedroht, die das Wort Freiheit ernst nehmen, dann ist das Terror.«
    »Die Tiefe der Zerrüttung des ganzen Landes wird Ihnen deutlich«, sagte mein Mann, der sich vom ersten Schock der Begegnung mit dem Unwissen erholt hatte, »wenn Sie sich vor Augen führen, dass der Bruder dieses Mannes dort, der einstige Anführer der Aufständischen in der Vendée – diesem unbeugsam royalistischen Landstrich im Westen Frankreichs – … dass also Fédéric de Mâconnais-Rambouillon, bei der Schlacht von Cholet zum Gegner überlief! Er ist jetzt nur noch als
der Schlächter von Nantes
bekannt, denn er soll bei den Septembermorden eine neue, effektive Methode der Massentötung erfunden haben: voll besetzte Kähne mit Gefesselten mitten auf einem tiefen Gewässer zum Kippen bringen.«
    Für einen Augenblick war es sehr still. Jérôme sprach weiter:
    »Spätestens seit der öffentlichen Hinrichtung der Beamten der Schatzkammer, allen voran des Duc de Roux, wegen Ablehnung der Kultfreiheit, war für uns kein Bleiben mehr. Nicht weil wir Christen wären und ein offizielles Verbot des herkömmlichen religiösen Kultus verurteilen würden, sondern weil man von Staats wegen niemanden wegen seiner Gesinnung töten darf. In einer freiheitlichen Gemeinschaft muss unbedingte Glaubensfreiheit herrschen, Monsieur Distel!«
    »
Herr
Distel, wenn ich bitten darf! Und merken Sie sich, was das Religionsedikt klarstellt: Es gibt nur
eine
Religion, nämlich die christliche! … Ablehnung der
was
? Kult…?«
    Ich hatte nur ein höchst schemenhaftes Bild von den preußischen Verhältnissen. Dass der geheimbündlerisch aktive Justizminister Wöllner ein Religionsedikt entworfen und der König es gebilligt hatte, kam mir erst in diesem Moment zu Bewusstsein. Der König umgab sich zwar mit royalistischen Émigrés, doch Franzosentum bedeutete für diesen Staatsdiener hier schlicht Jakobinismus … Distel war das erste lebende Exemplar einer später so treffend
Franzosenfresser
genannten Spezies. Er hatte keine Ahnung von den Verhältnissen in Frankreich, weil er sie nicht haben wollte! »Sehen Sie die Harfe da an der Schulter?«, fragte ich, die Verwirrung des obersten Polizisten zu einem Vorstoß nutzend. »Was hat das zu bedeuten?«
    Distel überhörte meine Frage. Er schickte einen seiner Männer mit Jérôme vor die Tür der Leichenkammer.
    »Was wissen Sie über die Harfe?«, fragte er mich und verriet mir damit, dass sie anscheinend viel zu bedeuten hatte, er aber nicht ahnte, was.
    »Ich wollte sie früher einmal spielen lernen, doch es war mir zu schwierig. Ich hatte es nie so sehr mit den Instrumenten, müssen Sie wissen.«
    Die beste Methode, es sich mit der Polizei zu verscherzen, war es, eine Frage mit Witz zu beantworten. Distels Miene

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