Der rote Salon
verschloss sich wie die Eiserne Jungfrau.
»Ich ordne eine Leibesvisitation durch einen bestallten Amtsarzt an«, entgegnete er. »Es geht um ein eventuell vorhandenes Körpermerkmal.«
»Aus welchem Grund?«, fragte ich erbost. Ohne dass er oder sein Untergebener noch die kleinste Bewegung tun konnten, trat ich vor und entblößte Anne de Pouquets blasse Schulter: eine eintatauierte Harfe!
»Was fällt Ihnen ein?«, fuhr Distel mich an.
»Nun, wenig ... zugegeben«, konterte ich. »Aber wenn ich mir überlege, dass wohl alle drei eine Harfenzeichnung auf der Schulter tragen, könnten es Mitglieder eines Geheimbundes sein! Derlei sollte man in Preußen ja nicht für ungewöhnlich halten. Der König ...«
»Wollen Sie Ihrer Respektlosigkeit gegen Amtspersonen noch Majestätsbeleidigung hinzufügen?«, brauste er auf. Ich hätte am liebsten auf der Stelle meine Schulter entblößt, doch Kleidung und Anstand verboten es mir.
»Waren Sie auch Mitglied des Harfenbundes?«, fragte er, damit die Richtigkeit meiner Vermutung eingestehend.
»Ich war nie in einem Bund oder Verein oder Club. Diese Tatauierungen sagen mir nichts. Und da Sie offenbar annehmen, ich lüge, so lassen Sie es überprüfen. Fragen Sie auch meinen Mann darüber aus. Er wird Ihnen gleich den Gegenbeweis erbringen können, ohne das Gebot der Schicklichkeit zu verletzen.«
Distels Stimme blühte auf vor unterdrückter Wut:
»Wir haben Ihre Briefe in der Unterkunft Ihrer Freundin de Pouquet gefunden und müssen Sie bitten, uns auch die zu übergeben, die sie Ihnen schickte.«
»Was für ein Mensch sind Sie nur? Wie können Sie annehmen,ich hätte mit diesem Wahnsinn hier etwas zu tun? Anne de Pouquets Freundin will ich mich kaum nennen, in dem Sinne, dass wir eine kleine Zeit – so lange es dauert, von Paris über Mainz nach Berlin zu reisen – Seit an Seit verbrachten und ich ihr freundschaftlich zugetan war. Was immer sie mir schrieb, war rein privater Natur und ganz belanglos – das müssten Ihnen meine Antworten doch gezeigt haben! Ich würde die Briefe niemals der preußischen Polizei zu lesen geben! Sie sind mir ein liebwertes Andenken an eine vertraute Reisegefährtin.«
»Wie stand die Pouquet zu Mâconnais-Rambouillon und Dampmartin? War sie ihre Geliebte?«
»Ich weiß nichts über das Verhältnis der drei zueinander. Sie war jedoch, denke ich, keineswegs eine Verfechterin der neuen Ansichten, denen zufolge die Frau sich die gleichen Freiheiten in der Liebe nehmen sollte, wie sie die Männer von altersher für sich beanspruchen.«
Distels Gesicht hatte die Süße einer Zitrone. Mir fielen die Briefe ein, in denen mir Anne de Pouquet die Erklärung der Rechte der Frau mitgeteilt hatte. Sie verfocht die Ansichten der Gouze weiß Gott nicht. Im Gegenteil, sie unterzog sie einer heftigen Kritik, denn sie war tief von der führenden Rolle des Mannes überzeugt, der für sie alles Starke, Grobstoffliche verkörperte, wohingegen die Frau für alles Zarte, Ephemere stand! Doch allein diese Exzerpte mussten bei dem weltfremden Preußenpolizisten wie Zündstoff wirken.
»Ganz wie Sie wollen, Frau de Lalande. Dann lasse ich eben, so leid es mir tut, meine Leute Ihre Wohnung auf den Kopf stellen! Bitte warten Sie draußen. Ihr Gatte muss mir noch einen Moment Gesellschaft leisten.«
Distel gab seinen Polizeioffizieren leise Anweisungen. Französische Revolutions- und/oder Geheimbund-Mordemit unter Umständen widerchristlichen, gar ausschweifenden Motiven und erotomanischen Libertins als Opfern und/oder Tätern ... Es war offensichtlich, dass ihm das Wasser bis zum Hals stand.
Ich wurde hinausgeführt, kaum dass ich mich im Vorbeigehen von Theden verabschieden konnte, der unseren Disput mit sprachlosem Lächeln verfolgt hatte, während er seine Instrumente reinigte.
»Es hat mich sehr gefreut, Sie wiederzusehen! ... Wann und wo fand man sie?«, hauchte ich, in Richtung der Toten blickend.
»Meinerseits ...«, sagte er, doch ich vernahm mit Freude den heiseren Zusatz: »... in der Spukvilla der Äbtissin! Gestern früh! Mâconnais-Rambouillon und Dampmartin erhielten zuvor Betäubungsschläge. Dampmartin wohnte im jüngst abgebrannten Haus.«
Distel hatte unser Gewisper nicht gehört. Ich frohlockte innerlich!
Die Äbtissin
: Das war Amalie, die Schwester Friedrichs des Großen gewesen. Ihr einstiges Sommerpalais lag nicht weit von der vormaligen Wohnung dieses dicklichen Goldschmieds entfernt.
In fruchtloses Nachdenken versunken, fand
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