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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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der Katzen!«
    »Daher also das Wort
Kätzer
für die Widergläubigen! Die Katze ist ein dem Teufel zugeordnetes Tier.«
    Er nickte, und ich kam mir vor wie ein tumber Dialogpartner des arroganten Sokrates.
    »Ja, sie haben es ziemlich übertrieben mit der Idee des Guten! Keine Fortpflanzung unter den Auserwählten des inneren Zirkels, kein Beilager, kein Fleisch essen, kein Wein, kein Kuss … bis zum letzten reinen Atemzug. Ungeküsst sterben, mit leerem Magen, denk dir nur!«
    Er lachte, und wir küssten einander innig. Sokrates hin, Sokrates her …
    »Apropos: Ob Marthes Kochkünste für den Hofmedikus ausreichen?«, fragte er, ernst in Sorge, und ich nickte, sodass er beruhigt fortfuhr: »Die Lehre Swedenborgs ist im Übrigen völlig christlich. Nenn es ein Christentum, in dem das Jenseits größeres Gewicht hat. Drüben wird alles gutsein, sozusagen, wenn wir nur hier mit aller Kraft nach dem Guten streben. Hier dagegen ist die Hölle.«
    Aus der Küche drangen Marthes Geschrei und ein sehr brenzliger Duft. Die Ärmste, ich würde ihr gleich beispringen … Sie wollte Erdäpfel rösten, zu Grünkohl und einem gebratenen Huhn, und hatte wohl zu angestrengt unserer Vorlesung über das Geisterreich der Swedenborgianer gelauscht.
    »Und was machen die Geister, wenn’s ihnen im dumpfigen Jenseits zu langweilig wird?«, konnte ich nicht umhin zu fragen.
    »Oh, die Geisterwelt ist quirlig. Eigentlich lebt man dort genauso wie hier. Mit allen kleinen Höhen und Tiefen. Doch die Geister sind nicht untätig, sie bestimmen das Leben der Hiesigen.«
    »Wie denn?«
    »Durch vielerlei tatkräftige Erscheinung! Man kann mit ihnen – den Abgeschiedenen, den Geläuterten, den Weisen – in Kontakt treten! Gott hilft einem in dieser Kontaktaufnahme, wenn man nur recht innig zu ihm betet!«
    »Du phantasierst …«, sagte ich, mich dunkel an Anne de Pouquets gelegentliche Bemerkungen entsinnend, die in diese Richtung gingen. Verdammt, wieso hatte ich ihre Briefe nicht mehr? Distels Leute wüssten doch gar nichts damit anzufangen.
    »Zumindest war das, glaube ich, die Auffassung des Bundes, in dem sich der Duc de Roux besonders hervortat. Die Schule des Absoluten:
L’école d’Absolu
. Irgendwie bogomilisch. Man betete zum swedenborgianischen Gott und beschwor mit seiner Hilfe die Geister der alten Weisen, der Reinen, der Guten. All das, dieses Albigensisch-Katharisch-Patarinisch-Bogomilische, verkörperten idealerweise die Könige von Frankreich. Der Herzog von Roux und dieSeinen waren die letzten Statthalter der Idee der Reinheit des Hochadels. Sie brauchten indes nicht aus eigenem lebensmüdem Todesantrieb die Endura zu begehen. Der Wohlfahrtsausschuss sorgte für ihr Ende.«
    Ich sann nach über das, was er gesagt hatte, während ich Marthe in der Küche davon abhielt, dem Grünkohl den Garaus zu machen. Die mit Gottes Gnaden regierenden ersten französischen Könige als Helfer für die heutigen letzten Irdischen? Indem sie sich der entrückten Runde eines Zitationszirkels offenbarten und materialisierten, um den gläubigen Anhängern und Dienern aus den Übeln des diesigen Höllensumpfes herauszuhelfen? Das schien mir die richtige Lehre für einen Großsiegelbewahrer, Antiquar und Aufseher der Silberkammer zu sein. Wenn nun auf die Weise das Silber leichter zu reinigen war – warum nicht? Die Menschen damals glaubten so viele Dinge und hingen so abstrusen Kulten an, da kam mir das eher harmlos vor. Der große Forster, den wir als klug und klar denkend erlebt hatten, war in seinen Jugendjahren genauso den Versuchungen des Okkulten erlegen gewesen.
    »De cultu et amore Dei
, ist das auch von Swedenborg?«, fragte ich Jérôme, als wir auf Heim warteten. Ich kramte das Büchlein hervor.
    »Woher …?«
    »Tja, man ist nicht ganz so unwissend … Ich fand es in Anne de Pouquets Zimmer, wie auch das Kreuz. Sie scheint den Geistern leidenschaftlicher geopfert zu haben, als ich dachte. In ihren Briefen waren Andeutungen. Jetzt erst verstehe ich sie besser.«
    Ich dachte an den Parry. Ich würde de Paul das Buch schon zurückgeben, aber erst sobald er seinen Teil unserer Abmachung erfüllt hätte. Ich würde ihm entlocken, wie es in seinen Besitz gelangt war. Da durchzuckte mich der Gedanke:
    Aber was, wenn es doch Anne de Pouquet gehört hatte? Die Ankunft des Doktors Heim verhinderte das Verfolgen dieses Gedankens. Der eine kam (Heim), der andere ging (Gedanke).
    Heim war erschöpft. Er bat tausendmal um Verzeihung wegen

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