Der rote Salon
und verbannte die dunklen Zonen der Berlinischen Phantasie nicht aus dem Spektrum der Betrachtung.
»Mich mit diesen Histörchen zu beschäftigen ist ein schöner Ausgleich. Nun also wieder der Schlingenzieher Groth … Und offenbar mit mehr Tiefgang als die weiße Frau im Zollernschloss und alle verwunschenen Katzen und verliebten Müllerssöhne! So eine hübsche feste Geisterschlinge, die sich um Hals, Gehirn und Herz und Brust legt, das istschon ein anderes Kaliber als die Seufzer, Polterer und Winker.«
»Was ist eigentlich dem Groth passiert?«, fragte ich, leicht beklommen, und fasste mir an den Hals.
»Es war ein Unfall beim Wechseln der Kerzen, der den alten Uriel Groth zum mucksmäuschenstillen Leuchterbehang machte und ihn zwang, in den Erzählungen der Ammen und Gouvernanten, der Muhmen und Tanten, der Prahlhänse und Wichtigtuer als untoter Würger wiederzukehren.«
»Wer hat ihn denn am Hals gehabt?«, fragte ich.
»Ach, fast jeder Gast Amalies. Bei unserem regierenden Fürstenhaus ist das Geistersehen im Übrigen so normal wie das Marmeladeessen.« Heim pausierte, ergänzte dann: »Groth ist froh, aus dem alten Kasten heraus zu sein. Ich sah ihn heute. Er hat sich was gespart und plant, das Schlösschen vorm Frankfurter Tor zu übernehmen und auf seine alten Tage Wirt zu werden! Der Kauz – war etwas und wird dennoch Wirt! Auch scheint er sich verehelichen zu wollen. Das hat mich für ihn gefreut. Muss mächtig was auf die Seite geschafft haben in seinen Dienstjahren. Der Schlösschen-Betreiber hört altershalber auf und hat einen unwilligen Sohn. Er verlangt fünftausend Taler Ablöse.« »Der Diener Groth soll so viel auf der hohen Kante haben?«, fragte ich. Ich konnte es kaum glauben. Das war also die Verwandtschaft, die ihn so sehnlichst erwartete.
»Aber an die Wirklichkeit der Spektren glauben Sie nicht?«, forschte ich, den wissenschaftlichen Ausdruck für Gespenster verwendend.
»Meine Beste, was soll ich sagen? Sie sind wirklich und wirken – in unserem Geist. Ich habe die haarspalterische Unterscheidung der Philosophen zwischen Aktualität und Potentialität nie begriffen. Wenn es möglich ist, einem Geistzu begegnen, gehe ich ganz anders in ein altes Haus. Ich sichere, schaue mich um, habe Angst. Die Möglichkeit des Unvorhersehbaren hat mich beeinflusst, also hat sie gewirkt, war schon wirklich …«
Ich schluckte und dachte an mein Vorhaben am nächsten Tag. Dann lachte ich und nickte bekräftigend, als Jérôme einwendete:
»Hat sich nicht sogar die Madame de Sévigné in einem Brief gewünscht, in ihrem Garten fände sich ein sprechendes Blatt?«
»Ein sprechendes Blatt?«, fragte ich erstaunt. Jérôme lachte und bestätigte es:
»Ja, in der Tat, sie hätte in ihrem Park in der Bretagne gerne eines gehabt! Ein Blatt, das spricht! Um Europa zu verstehen, so meinte sie, sei die ganze cartesianische Vernunft nichts nütze. Europa sei ein mysteriöses Land voller undurchdringlicher Geheimnisse.«
»D’accord!«, stimmte Heim ein. »Daher lobe ich mir die Geister! Sie erscheinen in unseren Köpfen und scheren sich nicht um Logik. Ein Hoch auf die Geisterwelt!«
Er schob den Bildstreifen mit dem Gespenst in die Schreckenslaterne.
»Metempsyche?«, fragte Jérôme.
Wieder so ein Wort, mit dem gelehrte und halbgelehrte Herren neuerdings gerne prunkten.
»Oh, sehr interessantes Phänomen …«, warf Heim ein.
»Lessing, Schiller, Lavater … durchaus interessant … Schlossers Abhandlung allerdings ist schlechthin genial! Ich würde Goethes Emmendinger Schwager glatt zustimmen. Ist es nicht manchmal so, als ob ein Anderer, ein Früherer und Weiserer aus uns spräche? Ist das vielleicht das, was die Christen
Gewissen
nennen und was uns angeblich Gott eingegeben hat?«
Metempsyche
hieß
Seelenwanderung
. Ich entsann mich dunkel, dass in der kleinen Bibliothek Mâconnais-Rambouillons das Werk Schlossers gestanden hatte.
»Aber die Geister, die in uns zum Vorschein kommen, sind nicht schreckhaft«, fuhr Heim fort. »Ich finde die Vorstellung, die Alten in mir zu tragen, keineswegs bedenklich, im Gegenteil, doch wenn es geht, hätte ich gern nur das Beste von ihnen. Ihr Wissen, ihre menschliche Erfahrung, ihre Gelassenheit .. Mit dem Wiedergeborenwerden ohne Reifung könnte ich mich nicht abfinden, das weiß ich mit Sicherheit. Mein Gott, wenn ich an mein morgiges Erwachen denke! Ich hoffe sehr, dass nicht nur der Wein in mir ein bisschen reifer geworden ist …«
So schied er,
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