Der rote Salon
seiner Verspätung. Marthe warf die schon erkalteten Brattartuffeln wieder in die Pfanne und feuerte noch mal darunter. Bei einem großen Glas Bourgogner fand der Amtsarzt die Sprache wieder. Er sah sich in unserer adeligen Wohnwerkstatt um und konstatierte belustigt, das allseits beliebte Damespiel verulkend:
»Es gibt, Gott sei Dank, noch andere wie mich, die ihre Zeit nicht mit Holzschieben verlieren …« Sogleich fügte er hinzu: »Ich habe noch nie so viele Schultern in so kurzer Zeit gesehen. Wohl an die tausend müssen es gewesen sein. Hier, das sind die hundert besten!«
Er hatte ein Skizzenbuch hervorgekramt und blätterte es auf.
»Schultern wie große Birnen, wie unförmige Tartuffeln, in die Breite gehende Tartuffelklöße, wie kleine Flaschenkürbisse, Sellerieknollen, Fenchel, Schultern wie Zwiebeln, wie schrumpelige Apfel, wie Baguette-Enden, wie die Hinterteile schlanker Pferde – ohne Schweif, versteht sich –, Schultern wie umgedrehte Korbflaschen, wie Bouletten, wie Pfannkuchen, wie Retorten, wie Kohlepfannen, verbeulte Stielkasserolen, Eier, ja: Schultern wie Totenschädel, auf die man von oben blickt … wie Bourgognergläser … wie glasierte rote Beete … gebleichte, selbstredend!«
Er hatte die Umrisse der jeweiligen Schulter skizziert sowie Leberflecke und andere Besonderheiten. Nur die Harfen fehlten. Ich sah ihn fragend an.
»Keine einzige. Nicht ein Tatau an einer lebendigen, saftigen Schulter! Distel ist nicht eben erfreut …«
»Und was hat der Polizeipräsident als nächsten Streich geplant?«
Er zuckte die Schultern. Darüber mussten wir schon wieder lachen. Der Ernst des Themas entschwand. Ein Segen, dass es noch Menschen gab, die nicht
über
, sondern
mit
einem lachten. Die Brattartuffeln schmeckten auch im zweiten Nachschlag phantastisch, und wir kamen auf ein anderes Thema.
»Wie Sie vielleicht wissen, bin ich schon vor Jahren zum Leibarzt der königlichen Familie geworden, mit etwas mehr Glück als Verstand. Und da man weiß, dass ich mich in Berlin besser auskenne als irgendeiner, erkundigte sich neulich der Kronprinz bei mir, in seiner üblichen Hackepetermanier:
Laternae magicae? Wissen eine gute Manufaktur?
Es gab nur eine Antwort:
Ich kenne nur eine Werkstatt, Hoheit, deren Produkt man ohne zu zögern empfehlen kann
… Wenn Sie der königlichen Familie eine Weihnachtsfreude machen wollen, dann schicken Sie ihm mit der freundlichsten Empfehlung eines Ihrer Zauberinstrumente!«
»Machen wir es einfacher und sparen Zeit und Geld«, sagte ich, den strafenden Blick Jérômes über meinen Nachlasskauf noch gut in Erinnerung, und deutete auf das gerade fertig gewordene Exemplar.
Wir verpackten es, nachdem Heim sich den Projektor gründlich und in steigende Begeisterung geratend hatte vorführen lassen, mit einem kleinen Anleitungsheftchen, vollständigem Bildersatz (Ruine und Gespenst / Vom Verlies zur Guillotine / Blanchards Ballonaufstieg im Tiergarten 1788/Beim Doktor Eisenbart, vorher – nachher/Pferdeunfall/Gewitter und Brand) und einer Präsentkarte, die just produzierte Laterne und vertrauten sie dem königlichen Leibarzt als persönlichem Überbringer an. EinHochzeitsgeschenk!
Fürs königliche Vergnügen – der Kronprinzessin und dem Kronprinzen, von zwei einstigen vergnügten Tanzpartnern
, schrieb ich leichthin.
Heim strahlte wie eine Zauberlaterne und orderte nebenbei auch noch eine für die eigene wachsende Familie. Ich erzählte von der Begegnung mit den mecklenburgischen Prinzessinnen und von Goethe. Heim und ich erinnerten uns daran, wie jener uns einst den Plan eines Polizeiromans schilderte. Jérôme schaute mich verliebt an, denn wir hatten eigene Erinnerungen an die Zelte im Tiergarten, wo das gewesen … Vom Herannahen der Geisterstunde angeregt, palaverten wir über die Furcht und den Reiz des Geheimnisvollen, mit dem wir ja –
via laternae magicae
– unbestreitbar auch unser Geld verdienten.
»Stellen Sie sich Friedrich den Einzigen als Gespenst vor! Er wäre sicher auch nach dem Tod noch eine eindrucksvolle Erscheinung! Man würde ihn wohl am Schnupfen erkennen, oder am Klappern der Krücke.«
Heim schwelgte in dieser Geistersphäre, das merkte man gleich. Bei jedem anderen Arzt hätte dieses elementare Interesse an derlei Abseitigem, Groteskem komisch angemutet. Heim aber schenkte sämtlichen Äußerungen des menschlichen Geistes seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Das spintisierende Naturell der Berliner liebte er so wie ihre Innereien
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