Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
Vom Netzwerk:
Römerhelmen – auf imaginäre Kreuze gesteckt – blickten düster und abweisend auf Portal und enge Auffahrt. Vom König waren 23 000 Taler für die Einrichtung bewilligt.
    Ich hatte letzte Einkäufe für das bevorstehende Abendessen mit Doktor Heim getätigt und kam auf dem Rückweg am Buchladen der Witwe Naudé in der Brüderstraße vorbei. Die freundliche alte Dame kannte weder den Titel der Parry’schen Anthologie, noch den Londoner Verlag Johnson, aber sie riet mir, wegen der Schätzung den Maurermeister Zelter zu fragen.
    »Wenn einer sich mit Notenwerken auskennt, dann er! Die Singakademie probt heute ausnahmsweise, auch wenn nicht Dienstag ist. Sie werden morgen im Schlüterhof singen, wenn die Brautleute vereint stehen!«
    Schnell brachte ich meine Einkäufe heim, schnappte den Parry und die Liederhandschrift und lief die drei Schritte zum Markt der Gens d’Armes, wo das Doebbelin’sche Theater nach dem Tod des großen Friedrich untergekommen war – ich hatte es noch im Hof neben dem Haus Behrenstraße 55 erlebt: Die Schauspieler hatten keine Garderobe und zogen sich im benachbarten Hausflur um …
    »Nein, sie sind nicht mehr hier!«, erklärte mir ein Mime, als ich im leeren Foyer des Komödienhauses stand. »Sie haben jetzt einen Probenraum in der Akademie!«
    Also weiter zu Unter den Linden, ins Vorderhaus des Stalles. Und ganz nach oben, wo ich die etwa fünfundvierzig Sänger bereits hörte.
    Im eiskalten runden Saal kam ich in den Genuss, dem Chor eine kleine Weile zuhören zu können. Dann war Pause, und ich ging auf Zelter zu, einen großen, untersetzten Mann mit etwas gedrücktem, bäuerlichem Kopf und Schopf. Er sah das gebundene Konvolut Kompositionen und sagte sofort, mit der Stimme des Handwerkers, der sonst Termine angibt und Preise:
    »Das ist ja de Pauls Schmierheft. Lauter hübsche, sentimentale Festtagslieder! Ganz im Stil des großen Felicien de la Maupadé. Ich hätte es fast für ein Werk des vormaligen Hofkomponisten der Königin von Frankreich gehalten. Nun ja, wir alle kupfern irgendwo ab, nicht wahr? Maupadé hatte ein Verhältnis mit der Harfenistin der Königin, danach ließ Marie Antoinette ihn fallen.«
    Er schien kurz vergessen zu haben, dass er mit einer Dame sprach und entschuldigte sich.
    »Wir wollten ein Stück daraus kopieren und für den Chor einstudieren, aber es ist so schlecht notiert. Er muss es erst sauber abschreiben. Was tun denn Sie damit?« Ohne auf meine Antwort zu warten, deutete er auf den Parry. Seine abschätzige Tonlage verschwand. »Aber was ist das?« Er strahlte beim Anblick der Londoner Anthologie. »Sehr fein und selten! Gerade für Harfenisten von großem Wert! Ich habe es erst einmal gesehen. Ich glaube, der versoffene Potsdamer Cellist Mara hatte ein Exemplar!«
    Ich wies ihn auf den einstigen Stempel und die Signatur hin. Der singende und dirigierende Maurermeister war ein wandelndes Lexikon und freute sich hörbar, sein Wissen vortragen zu können:
    »Das ist ein Buch aus der Sammlung des Duc de Roux. Kultische Verehrung der Krone, ein Royalist par excellence. Hatten die Herzöge von Roux nicht die Krone der Valois in Verwahrung? Man hat freilich ihre Existenz nur vermutet …«
    »Ach was!«, entfuhr es mir, denn ich hatte gewissermaßen dem letzten Atemzug dieses Herrn in Paris beigewohnt. Erst kurz vor unserem Abschied von Paris war der Duc, der Großsiegelbewahrer und Aufseher über die weltlichen Schätze des letzten Königs, der Guillotine zum Opfer gefallen: Bei diesem traurigen Anlass war ich Anne de Pouquet zum ersten Mal begegnet. In Tränen schwamm sie, als sei es ihr Vater, der auf dem Schafott stand, und sie nicht bloß eine Zuschauerin. Die Krone eint alle, die ihr ergeben sind. Das war schon immer so, und wird immer so bleiben. Eine Monarchie ist eine Großfamilie. Schemenhaft entsann ich mich der Anschuldigungen gegen den Duc: Verstoß gegen die Kultfreiheit. Hatte er nicht irgendeine geheime Gruppe aufgebaut? Religiös-royalistische Fanatiker, die sich bei ihm zu Hause trafen?
    »In der Tat, meine Gute: Der Duc de Roux besaß eine der größten Musikaliensammlungen Frankreichs. Sie wurde in alle Winde zerstreut. Fluch über die Revolution!«
    Wenn mich jemand
meine Gute
nennt, werde ich automatisch seine Böse.
    »Immerhin bescherte Sie Ihnen das Vergnügen, an der Sammlung des Herrn bescheidenen Anteil zu nehmen …« Seine Augen weiteten sich kurz, als sei er erstaunt über meine Frechheit. Doch dann lachte er die eigene

Weitere Kostenlose Bücher