Der rote Salon
Kronprinzen und der Kronprinzessin zunächst und zur Einstimmung ein Werk von Antoine Francisque, dem bekannten Lautenisten und Komponisten aus St. Quentin. Monsieur de Paul hat das Werk für die Harfe bearbeitet. Seine königliche Hoheit, der Prinz von Preußen, wird die Güte besitzen, mich am Klavier zu begleiten. Ich will nur all denen, die sich nicht so ausgezeichnet in der Musik für die Harfe auskennen wie Ew. Majestät, noch zwei Worte zum Komponisten und dem Stück sagen. Um 1575 geboren, lebte Francisque zunächst in Cambrai, später in Paris, wo er 1605 gestorben ist. Sein 1600 entstandener
Schatz des Orpheus, Le Trésor d‘Orphée,
ist eigentlich eineLautenkomposition, in der er vor allem volkstümliche Tanzweisen verarbeitet hat. Der Titel des Werkes spielt auf Orpheus an, der mit seinem Harfenspiel nicht allein Mensch und Tier, sondern gar den Hades anzurühren vermochte.« Sie machte eine Pause.
»Auch wir wollen heute Nacht den Zerberus und den Gott Hades durch unser Musizieren gütig stimmen. Wir wollen sie rühren, damit sie uns Zutritt zur Welt der Abgeschiedenen gewähren. Die Bewohner der Unterwelt wiederum wollen wir besänftigen, indem wir ihnen zeigen, wie sehr wir an sie denken. Und wir wollen nicht zuletzt die armen Seelen, deren Schicksale auf unbegreifliche Weise mit diesem kleinen Saal verknüpft sind, gnädig stimmen und sie anflehen, ihren Zorn nicht gegen Unschuldige zu wenden.«
Diese Worte berührten mich sehr sonderbar, und ich sah die Neugier und das Grausen in den Gesichtern der anderen. Der Mordsalon und seine Vorgeschichte waren für viele wohl wichtiger als die Harfenklänge. Die Lust am Absonderlichen hatte sie hergetrieben, die Schauerlust, die grausige Gier, den Fleck zu sehen, auf dem ein Mensch seinen Lebensodem verhauchte. Auch ich war ja keineswegs frei von der Begierde, das Schreckliche hautnah zu erleben, und wie die anderen fühlte ich mich in der Gemeinschaft sicher, was den Genuss am Grausigen verstärkte.
Der Schatz des Orpheus
. Die magischen Arpeggien oder Harfenakkorde ließen die Bilder in meinem Geist tanzen! Ich sah die Schatzkammer im Boden und den kreisrunden Abdruck von etwas, das dort, auf Samt gebettet, gewartet hatte, ganz in der Nähe ...
Während der Applaus aufbrauste und alles
Bravo!
rief, fragte ich Jérôme:
»Was erzählte man sich vom Duc de Roux?«
»Was sagst du, Liebes? Der Duc de Roux ... Wir waren bei seiner Hinrichtung!«
Die automatenhafte Stechwalzigkeit der Jérôme’schen Konversation frappiert mich mitunter. Er neigt dann dazu, zu längst überholten Punkten zurückzukommen, als glaube er nicht an die Beweglichkeit meines Geistes.
»Anne de Pouquet war das Medium der Gruppe! Kann es nicht sein, dass sie einen der alten Könige gemeint hat, als sie mir von einem Besucher schrieb und vorschwärmte? Was meinst du?«
»Na klar, einen Valois, wahrscheinlich den Ersten!«, war seine lachende Erwiderung.
Der Beifall war abgeebbt, und in der Stille störte unser Getuschel. Beatrice de Grève sah vorwurfsvoll in unsere Richtung, bevor sie sagte:
»Giovanni Battista Pescettis c-Moll Sonate ist für Cembalo komponiert, lässt sich aber – nach einer Transposition von Felicien de la Maupadé – ebenso auf der Harfe spielen. Seine Königliche Hoheit, der Prinz von Preußen, fügte Stimmen für Klavier und Glasharmonika hinzu.«
Hierauf sah sie de Paul seltsam zärtlich, dann den Prinzen sehr ergeben an und neigte zum Beschluss den herrischen Kopf leicht gegen den König. Dieser flüsterte der Dame an seiner Seite etwas zu, bevor er sich wieder auf den Vortrag der beiden Künstler konzentrierte. Was die Rietz wohl an ihm fand? Geld? Geld ... als Beweggrund auch bei Diebstahl, Raub und Mord sehr verbreitet und beliebt.
Die Musik des Italieners erhielt noch mehr Bravos als die des Franzosen, woran die schauerlich-schönen Heultöne der Glasharmonika nicht wenig Schuld trugen, die Prinz Louis Ferdinand mit angefeuchteten Fingern hervorbrachte. Sowohl die Hände des Pianisten als auch die der Harfenistin schienen nun bereit zu sein für de Pauls viersätzigeKammermusik. Der Chor nahm Aufstellung, eine Violine und ein Cello kamen hinzu.
Fehlt nur die Flöte, dachte ich und dachte kurz an die beiden einstigen Hausbewohner, die nun vielleicht draußen froren, um später meinen Heimweg zu beschatten.
Der Komponist, nach devotester Danksagung an den königlichen Mäzen und die Kronprinzessin für ihre Duldung der Zueignung, verlor einige
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