Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
Vom Netzwerk:
Worte über seine Arbeit, indem er die Besonderheiten eines Klaviertrios mit kleinem Chor und Harfe erläuterte. Als sich de Paul in der Hervorhebung der eigenen Bedeutung zu verlieren schien, hüstelte die Hausherrin, auch wohl aus der Furcht heraus, die Tatkraft der mühsam erwärmten Finger könnte über den tauben Worten wieder ersterben, sodass er endlich schwieg und den Musikern das Wort überließ.
    »Wenn dieses Getön die Geister besänftigen soll ...«, hörte ich Jérôme wie durch aufkommenden Nebel neben mir sagen. »Es wird sie eher bis aufs Blut reizen und aus den tiefsten, stillsten Grüften in unsere Welt emporpeitschen, damit sie uns an die Gurgel fahren!«
    Mir blieb auch so die Luft weg: Arrat, der schräg gegenüber saß, zog eine kleine Dose und nahm etwas in den Mund. Nein, keinen Kautabak, dem Knirschen nach zu urteilen, sondern eine Kaffeebohne!
    Wenn mir zu viele Gedanken gleichzeitig durch den Kopf gehen, ist das Resulat ernüchternd. Ich starrte auf Arrat, ohne dass sich etwas in mir lösen wollte. Erst Fanfaris
Eau admirable,
das von der Kronprinzessin herüberduftete, erfrischte mich und stärkte meine Sinne. Die Kannenform des Kachelofens tat das Ihre, endlich die Kaffeebohnen im Schnee vor mir zu sehen.
    Ich sah noch mehr: In seltener Klarheit wanderte der selige Dampmartin fackeltragend durch den verwilderten, tiefverschneiten Palaisgarten zur nächtlichen Geisterbeschwörung. Ahnungslos schritt er an dem heimlichen Beobachter vorbei, der seitlich, hinter einem Stamm verborgen, in der Dunkelheit wartete und zum Zeitvertreib seine Kaffeebohnen kaute. War der Mann, den die beiden Hausmädchen von ihrem Dachfenster aus gesehen hatten, folglich Arrat gewesen? Das Bild der Spuren im Park passte dazu: einmal hin, einmal her. Blieben zwei weitere, von denen einer (einmal hin) Dampmartin gewesen war. Blieb ein dritter. Einmal her ...
    Der Applaus für die de Paul’sche Kammermusik geriet verhalten und gerann schnell. Der König gähnte und flüsterte seiner Liebsten etwas ins kleine Ohr, die darob hellauf kicherte. Das Publikum erhob sich. Die Kronprinzessin raunte im Vorübergehen, ihren Fächer munter zur Verbreitung des Fanfari’schen Ruhmes einsetzend:
    »Walzer ist mehr nach meinem Geschmack!«
    Beatrice de Grève und der Harfenmeister Göttler trösteten den armen Tonsetzer. Der Prinz von Preußen unterhielt sich dagegen mit Zelter und den Sängern:
    »Meine Tante hat mich in der für mich richtigen Applikatur unterwiesen. Auch fürs Komponieren gab sie mir ein paar gute Ratschläge mit auf den Weg. Das Wichtigste:
Die Nebenstimmen dürfen nie wie Nebenstimmen behandelt werden
. Mit leicht spöttischem Blick zu de Paul fügte er hinzu: Und sie sagte stets,
man habe das Gefühl in Form zu bringen, nicht bloß Form ins Gefühl!
«
    Die Anwesenden waren ermattet und aufgewühlt zugleich. Zwiebelförmige Taschenuhren wurden gezückt: kurz nach elf. Der Hinweis der Hausherrin, dass bei den draußen aufgestellten Feuerschalen Punsch und Coffee für die innere Erwärmung bereit stünden, damit jeder bis zum fulminanten Feuerwerk bei Laune gehalten werden könne, wurdemit Freudenbekundungen beantwortet. Zelter und die Sänger brachten ein kleines Loblied auf die Hausherrin und auf den König aus. Dann strömte das Gros der Besucher hinaus. Ich sah den Polizeichef am Eingang sich mit Wöllner besprechen. Im Palaisgarten detonierte ein verfrühter Böller. Jubel war zu hören, das gemeine Volk amüsierte sich prächtig.
    Unterdessen wurde der Saal für die okkulte Sitzung hergerichtet. Geduldete Gäste außer Jérôme und mir waren Heim, Göttler, de Paul und Bonneheure. Bei uns war es die Einladung Dampmartins, die den Weg geebnet hatte; wie es die anderen zuwege gebracht hatten, weiß ich nicht. Bonneheure schien mit dem Prinzen handelseinig geworden zu sein und wurde zum Dableiben bewegt, obwohl er sich zierte. Göttler, der mir so gar nicht in die geheime Gesellschaft passen wollte, war vielleicht Gold- und Rosenkreuzer? Möglicherweise lag es aber auch in Dampmartins und Arrats eigenem Bestreben, dass alles offen vor sich gehen und den Anschein von Nachprüfbarkeit haben sollte. Dass der Polizeichef mit dabei war und die Minister Wöllner und Bischoffwerder, verstand sich von selbst.
    Die Lakaien rückten Klavier und Harfe an die Wand, rollten schwarze Stoffe über die Fenster, formten einen Kreis aus Stühlen, entfernten die überschüssigen und dann sich selbst. Dampmartin führte den

Weitere Kostenlose Bücher